«Heute ruft man schneller nach staatlicher Unterstützung als früher»

Arthur Grosjean (24 Heures), Markus Häfliger (Tages Anzeiger) - Die Finanzministerin muss sparen: Sie sagt, wie sie die Defizite verringern will, ohne die Steuern zu erhöhen. Und was sie über das «Ski-GA» der Bundesräte denkt.

Frau Keller-Sutter, sind Sie Finanzministerin oder Magierin?

Ich wäre gern Magierin. (lacht) Dann könnte ich vielleicht per Zauberstab die Bundesfinanzen retten, anstatt über politische und finanzrechtliche Prozesse, die sehr langwierig und schwierig sind. Eigentlich zaubern Sie bereits.

Im Budget 2025 haben Sie mit einem Trick eine Milliarde zum Verschwinden gebracht indem Sie den Grossteil der Ausgaben für die Ukraine-Flüchtlinge ausserordentlich verbucht haben. Bravo!

Das ist keine Magie! Das Finanzhaushaltgesetz des Bundes sagt ausdrücklich, dass Ausgaben, die aussergewöhnlich und vom Bund nicht steuerbar sind, ausserordentlich verbucht werden können.

Damit werden diese Ausgaben der Schuldenbremse entzogen und führen automatisch zu höheren Schulden.

Das ist richtig. Aber das ist im Gesetz so vorgesehen. Der klassische Anwendungsfall waren die Hilfen während der Corona-Krise. Der zweite Fall waren die Ausgaben für die Ukraine-Flüchtlinge. Die Frage ist also nicht, ob man ausserordentliche Ausgaben so verbuchen darf, sondern wie lange man das darf. Ich bin aber klar der Auffassung, dass dies kein Dauerzustand sein darf. Wir wollen die ausserordentliche Verbuchung dieser Ausgaben daher bereits ab 2025 bis 2028 sukzessive auf null reduzieren.

Seit Ihrem Wechsel ins Finanzdepartement sagen Sie, dass der Bund massiv sparen müsse. Diese Woche sagten Sie, er spare immer noch nicht wirklich. Wann beginnen Sie endlich damit?

Ich bin erst ein Jahr im Finanzdepartement. Und es geht tatsächlich vor allem darum, das hohe Ausgabenwachstum zu bremsen. Für 2025 müssen wir den Bundeshaushalt dabei kurzfristig um über 2 Milliarden entlasten. Das tun wir etwa, indem wir die Einlagen in die Fonds für Bahninfrastruktur, Arbeitslosenversicherung und die Regionalentwicklung kürzen, ebenso den Beitrag an die ETH. Das ist ohne Leistungsabbau möglich, weil diese Fonds und die ETH-Reserven sehr gut gefüllt sind. Ich sage es etwas salopp: Dort sind Steuergelder parkiert, die wir jetzt zurückholen. Diese Fonds sind auch Ausdruck eines unserer finanzpolitischen Hauptprobleme.

Inwiefern?

Fonds sind nötig, wenn es darum geht, hohe Ausgabenspitzen zu glätten. Es handelt sich aber auch um eine Art Parallelhaushalte, die zudem weitgehend gesetzlich gebunden sind. Um die Zahlungen für solche Fonds und für viele andere Bundesausgaben zu reduzieren, braucht es Gesetzesänderungen, teilweise Verfassungsänderungen. Total sind zwei Drittel des Bundeshaushaltes gesetzlich gebunden. Das können Sie nicht einfach mit einem Federstrich ändern. Aber man muss es auf den Tisch bringen.

Wie viel müssen Sie total wegkürzen?

Das strukturelle Defizit beträgt 3 bis 4 Milliarden. «Strukturelles Defizit» bedeutet, dass es nicht konjunkturell bedingt ist und dieser Betrag gekürzt werden muss, wenn wir die Schuldenbremse und damit die Verfassung einhalten wollen.

Diese Arbeit wollen Sie nun an eine Expertengruppe auslagern?

Der Bundesrat hat das noch nicht beschlossen, aber das ist unsere Idee. Wir wollen Leute, die die Verwaltung und die Finanzen sehr gut kennen - ehemalige Bundesangestellte oder auch Parlamentarier zum Beispiel -, damit beauftragen, Sparpotenzial zu identifizieren.

Solche Aufgabenüberprüfungen gab es schon mehrmals. Im besten Fall hat man so ein paar Hundert Millionen gespart.

Ihre Skepsis ist berechtigt. Aber wir haben keine Wahl. Die Alternative sind kurzfristige Sparübungen.

Das Parlament ist unfähig zu sparen. Im Dezember hat es in der Budgetdebatte um kleine Millionenbeträge wochenlange Krämpfe veranstaltet.  

...sogar um wenige Hunderttausend Franken...

Eben! Und Sie wollen mit diesem Parlament mehrere Milliarden sparen?

Auch das Parlament verlangt eine Überprüfung. Und nur weil man etwas skeptisch ist, entbindet es die Politik nicht von der Verantwortung. Und wir reden jetzt zwar von 3 bis 4 Milliarden - aber sogarwenn wir den Haushalt um diesen Betrag entlasten, steigen die Ausgaben von heute 82 Milliarden auf 90 Milliarden im Jahr 2027!

Sie wollen keine Erhöhung der Steuern. Sie sagen: Die Schuldenbremse ist heilig. Und das Parlament tut sich schwer mit Sparen. Wir sagen: Sie rasen in eine Sackgasse.

Unser Problem sind nicht die Einnahmen, sondern die Ausgaben. Allein 2023 stiegen die Steuereinnahmen um über 5 Milliarden. Das heisst: Wir brauchen einfach zu viel Geld. Jetzt einfach die Steuern zu erhöhen, ist darum unangemessen. Jede Steuererhöhung belastet die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft.

Man könnte vorübergehend mehr Schulden machen.

Bundesrat und Parlament müssen sich an die Schuldenbremse halten, sie steht in der Verfassung. Ihr Prinzip ist einfach: Man darf einfach auf Dauer nicht mehr ausgeben, als man einnimmt.

Die Idee der Schuldenbremse war, die Schulden zu stabilisieren. Aber so, wie sie heute gebaut ist, wirkt sie schuldenreduzierend. Man könnte den Mechanismus leicht abschwächen.

Wer von einer Reform der Schuldenbremse spricht, meint immer: mehr Verschuldung. Wir haben aber schon heute wieder mehr Schulden als bei Einführung der Schuldenbremse im Jahre 2003.

Nur wegen der Corona-Krise. In den zwanzig Jahren vor Corona sanken die Bundesschulden um rund 20 Milliarden.

Das stimmt, aber nicht, weil wir damals Ausgaben gekürzt hätten, sondern weil wir Überschüsse in den Schuldenabbau investieren konnten. Und nur dank den tiefen Schulden war die Schweiz überhaupt in der Lage, die Corona-Krise so gut zu meistern.

Ende 2023 hat der Bundesrat beschlossen, aus der Bundeskasse für jedes Bundesratsmitglied ein über 4000 Franken teures Jahresabo für alle Schweizer Skilifte zu bezahlen. Damit verspielt die Regierung in der Spardebatte ihre Glaubwürdigkeit.

Ich kann gar nicht Ski fahren. Es ist auch kein Skibillett, sondern ein Jahresabonnement von Seilbahnen Schweiz. Bisher hat Seilbahnen Schweiz diese Abos allen Bundesratsmitgliedern geschenkt. Damit wir uns nicht dem Vorwurf der Vorteilsnahme aussetzen, haben wir beschlossen, das künftig aus der Bundeskasse zu bezahlen. Wir werden das aber sicher noch einmal diskutieren.

Was, wenn das Volk am 3. März der 13. AHV-Rente zustimmt?

Was viele Leute nicht wissen: 20,2 Prozent der AHV-Ausgaben bestreitet der Bund mit Steuergeldern. Wenn das Volk der 13. AHV-Rente zustimmt, würden sich die prognostizierten Fehlbeträge ab 2026 auf einen Schlag um weitere 800 Millionen Franken pro Jahr erhöhen. Das wäre ohne Mehreinnahmen nicht zu verkraften.

Was heisst das?

Das müsste dann der Bundesrat entscheiden. Ich möchte auch dem zuständigen Innendepartement nicht vorgreifen. Eine Variante wäre, dass der Bundesrat bei einer Annahme der Initiative ziemlich schnell, noch 2024, eine Vorlage für eine Erhöhung der Mehrwertsteuer vorlegen müsste. Das wäre aber eine Verfassungsänderung, der auch Volk und Stände zustimmen müssten.

In einem Gastbeitrag in «Le Temps» haben Sie geschrieben, die Schweizer und Schweizerinnen litten unter einem «Ausgabenfieber». Wie meinten Sie das?

Ich weiss nicht, ob das in der Corona-Krise begonnen hat. Oder ob es ein Mentalitätswandel ist, der schon vorher eingesetzt und sich dann verfestigt hat. Jedenfalls stelle ich fest, dass man heute schneller als früher nach staatlicher Unterstützung ruft, auch die Wirtschaft. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Die staatliche Unterstützung während der Corona-Zeit war nötig. Wir wären sonst in eine Wirtschaftskrise gestürzt.

Wie erklären Sie sich diesen Mentalitätswandel?

Es ist vermutlich eine Frage der Werte, die in einer Gesellschaft weitergegeben werden, auch in der Erziehung. Ich wurde noch so erzogen, dass Eigenverantwortung wichtig ist und man etwas leisten muss. Das sind Werte, die die Schweiz stark gemacht haben. Dazu gehört auch, dass die Gesellschaft gezielt den Schwachen hilft. Auch bei der 13. AHV-Rente müssen wir uns aber fragen: Ist das noch eine gezielte Unterstützung, wenn alle Rentnerinnen und Rentner unabhängig von ihrer Finanzlage mehr Geld bekommen?

Die Schweiz gibt nur 0,7 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für Verteidigung und Armee aus, weniger als fast alle anderen Staaten in Europa. Ist es richtig, dass wir uns nicht solidarischer an der europäischen Sicherheit beteiligen?

Die Schweiz ist solidarisch. Bis 2035 werden wir kumuliert 20 Milliarden mehr für die Armee ausgeben als vor dem Ukraine-Krieg geplant. Das Ausgabenwachstum muss auch verkraftbar sein. Auch für die Armee gilt Mass und Mitte. Und ich frage mich noch etwas anderes.

Nämlich?

Wie sinnvoll es ist, die Armeeausgaben an einen Prozentsatz des Bruttoinlandprodukts zu knüpfen. Intelligenter wäre, zu definieren, welche Fähigkeiten eine Armee braucht. Überdies blenden internationale Vergleiche aus, dass die Schweiz eine Milizarmee hat. Man müsste darum auch die Erwerbsersatzordnung in diese Vergleiche einberechnen. Das ist nicht der Fall.

Die internationale Lage ist beängstigend. Auch Ihr Parteipräsident Thierry Burkart findet darum, die Armee brauche schneller mehr Geld. Was antworten Sie ihm?

Wir haben Konsens, dass die Armee mehr Mittel braucht. Wer ein noch schnelleres Wachstum des Armeebudgets will, muss aber auch sagen, wie man es finanziert. Dazu habe ich noch kaum Vorschläge gehört.

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Letzte Änderung 16.02.2024

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