«Die UBS wird mehr Eigenkapital aufbauen müssen»

Francesco Benini und Daniel Zulauf (CH-Media) - Karin Keller-Sutter wird vorgehalten, dass sie bei der Regulierung grosser Banken allzu zahm ans Werk gehe. Nun kontert die Finanzministerin: Die UBS müsse künftig viel mehr Geld für ihre Auslandstöchter zurücklegen. Die FDP-Magistratin erklärt ausserdem, wie sie die Defizite aus dem Haushalt des Bundes wegbringen will: Sie fordert die Rückkehr zur «Kultur des Verzichts.»

Beschäftigen Sie sich nach wie vor täglich mit den grossen Banken?

Karin Keller-Sutter: Nein, der Ausnahmezustand ist zum Glück vorbei. Der Finanzplatz hatte mich von März 2023 bis August 2023, als die UBS die Garantien des Bundes zurückgab, fast Tag und Nacht in Beschlag genommen.

Sie schlagen nun 22 Massnahmen vor, damit sich ein Desaster wie bei der Credit Suisse nicht wiederholen kann. Warum sticht keine Massnahme als einschneidend heraus?

Wir sehen nicht die eine, heilsbringende Massnahme, die das Ziel, die Steuerzahlenden besser vor unternehmerischem Versagen einer systemrelevanten Bank zu schützen, erreichen kann. Zudem gibt es seit der Finanzkrise schon eine umfangreiche Regulierung. Darauf baut der Bundesrat mit einem Bündel von gezielten Massnahmen auf. Diese können aber durchaus einschneidend sein.

Was haben Sie gegen härtere Ansätze wie eine Aufspaltung der UBS oder eine strikte Beschränkung der Grösse?

Hinter diesen Vorschlägen steht die Idee, dass der Staat einer Bank das Geschäftsmodell vorschreiben soll. Das ist nicht Aufgabe des Staates. Der Bundesrat verfolgt den Ansatz, Auflagen so zu gestalten, dass die Bank selber ihre Grösse und ihr Risikoprofil anpasst.

Sie haben von einer Güterabwägung gesprochen: möglichst wenig Risiko für die Steuerzahlenden und möglichst viel Geschäft für den Finanzplatz. Kann dieser Spagat funktionieren?

Wenn der Spagat gelingt, profitieren das Land und die Steuerzahlenden. Der Bundesrat hat 2020 eine Strategie festgelegt, welche die Weiterentwicklung eines internationalen, wettbewerbsfähigen Finanzplatzes zum Ziel hat. Dabei bleibt der Bundesrat. Ein florierender Finanzplatz bringt Steuererträge und Arbeitsplätze. Aber ich sehe natürlich auch den Zielkonflikt. Wir müssen verhindern, dass das florierende Geschäft am Ende zum Risiko wird.

Man hätte nach zwei schlimmen Erfahrungen auch zum Schluss kommen können, dass man eine Bank von der Grösse der UBS aufteilen muss.

Und wie genau soll das gehen?

Das kann Ihnen die SVP sagen. Die fordert das.

Ein reines Trennbankensystem ist eine Illusion und nicht unbedingt weniger risikoreich. Denken Sie an Lehman Brothers. Die Bank hat faktisch nur ein Geschäft, das Investmentbanking, betrieben. Trotzdem hat ihr Untergang eine globale Finanzkrise ausgelöst. Das Hauptgeschäft der UBS ist die Vermögensverwaltung. Das ist auch kein risikoloses Geschäft. Aber unsere Massnahmen zielen darauf ab, die spezifischen Risiken einzugrenzen.

Welche der 22 Massnahmen bezeichnen Sie als die wichtigste, die diesem Ziel gerecht werden kann?

Herausheben würde ich unseren Vorschlag, dass die Schweizer Stammhäuser von systemrelevanten Banken ihre ausländischen Beteiligungen künftig mit bis zu 100 Prozent Eigenkapital unterlegen müssen. Zurzeit beläuft sich die Unterlegungspflicht auf 60 Prozent.

Warum ist diese Massnahme so wichtig?

Das sieht man gut am Beispiel Credit Suisse. Mit einer ausreichenden Kapitalisierung hätte die Credit Suisse beispielsweise die hochdefizitäre Investment-Bank in den USA frühzeitig schliessen oder verkaufen können, ohne sich deswegen Eigenkapital-Probleme im Stammhaus einzuhandeln. So konnte sie es aber nicht – und das war ein entscheidendes Problem. Wenn wir diese Regelung jetzt anpassen, wird das Folgen für Wachstum und Grösse der UBS haben. Kurz gesagt: Wachstum wird teurer.

Darf die UBS ihre Investitionen im Ausland künftig also nicht mehr dem Eigenkapital des Schweizer Stammhauses zurechnen?

Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, wie das Regulierungspaket als Ganzes kalibriert wird. Aber der Vorschlag einer Unterlegung von bis zu 100 Prozent ist nicht zuletzt unserer Erfahrung geschuldet, dass der Umgang mit Behörden im Ausland im Krisenfall sehr schwierig werden kann. Wir werden die Verordnung zum Eigenkapital im ersten Quartal 2025 in die Vernehmlassung schicken.

Sie wissen aber, dass die UBS ihren Aktionären bereits weitere Aktienrückkäufe verspricht und damit dem Ergebnis Ihrer Eigenkapitalverordnung vorgreift.

Die UBS muss bereits jetzt zusätzliches Eigenkapital aufbauen, weil sie durch die CS-Übernahme viel grösser geworden ist. Für diese progressiven Kapitalzuschläge hat sie von der Finanzmarktaufsicht eine Umsetzungsfrist bis 2030 erhalten. Das Kapital für eine zusätzliche Eigenmittelunterlegung der ausländischen Tochtergesellschaften, wie sie der Bundesrat jetzt vorschlägt, ist aber nicht Teil davon, weil die Höhe der geforderten Unterlegung noch gar nicht festgelegt ist. Wenn diese Massnahme umgesetzt wird, wird die UBS aber mehr Eigenkapital aufbauen müssen.

Von wie vielen Milliarden reden wir da?

Wie hoch der Betrag genau ist, hängt von der Entwicklung der UBS ab und davon, wie die Verordnung genau ausfällt. Es geht aber um spürbare, signifikante Summen.

Es heisst, das Staatssekretariat für Wirtschaft habe schärfere Kapitalmassnahmen verlangt. Sind Sie der UBS entgegengekommen?

Es ist schwierig, Indiskretionen zu kommentieren, die bewusst ein unvollständiges Bild zeigen. Ich kann aber sicher so viel sagen: Man ist sich unter den zuständigen Behörden einig, dass es schärfere Vorschriften beim Eigenkapital braucht. Hier gibt es keine Differenz. Es geht eher um die Frage, wie viele Hebel man gleichzeitig bedienen soll. Der Bundesrat kam zum Schluss, dass man jetzt zunächst gezielt vorgeht. Er hat aber auch beschlossen, dass man dann in der Vernehmlassungsvorlage die Auswirkungen der verschiedenen Hebel darlegt, damit man eine Gesamtsicht hat.

Der Lohn von UBS-Chef Sergio Ermotti stösst in der Bevölkerung auf Unverständnis. Warum legen Sie keine Obergrenze fest?

Ich persönlich habe für Löhne in dieser Höhe kein Verständnis. Die UBS schadet sich damit selber. Sie sollte sich bewusst sein, dass in der Schweiz letztlich das Volk die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft festlegt.

Sie meinen die direktdemokratischen Instrumente.

Ja. In der Schweiz ist man darauf angewiesen, dass man anständig bleibt. Wir müssen zu dem zurück, was uns einst stark gemacht hat: Bescheidenheit und Leistungsbereitschaft. Nur so kann die Wirtschaft das Vertrauen der Leute gewinnen, auf das sie in wichtigen Abstimmungen angewiesen ist. Man sagt immer, die hohen Löhne seien Ausdruck eines angelsächsischen Systems. Wir leben aber in der Schweiz.

Die UBS sagt, sie müsse den Regeln des globalen Wettbewerbs folgen.

Das sehe ich. Aber es ist trotzdem eine Schweizer Bank. Eigentlich sind es wenige Menschen, die mit ihren Gehältern das hiesige System strapazieren.

Warum also keine Obergrenze?

Erfahrungsgemäss führen Obergrenzen für Boni zu höheren Fixlöhnen. Hohe Fixkosten schaden aber gerade dann, wenn es einem Unternehmen schlechter geht. Vernünftige variable Lohnbestandteile sind vertretbar, wenn sie sich am langfristigen Erfolg der Unternehmen orientieren. Die Leistung von Managern kommt manchmal aber erst zum Vorschein, wenn die Boni schon ausbezahlt sind. Darum wollen wir nun sicherstellen, dass Boni künftig auch zurückgefordert werden können.

Bekommt die Finanzmarktaufsicht nun die Instrumente, die sie in der CS-Krise gebraucht hätte, um früher und wirkungsvoller ein­greifen zu können?

Sie soll zusätzliche Instrumente erhalten. Das ist sinnvoll für die Zukunft. Ob die Finanzmarktaufsicht mit dem bestehenden oder einem grösseren Werkzeugkasten das Desaster der CS aber hätte verhindern können, muss die Parlamentarische Untersuchungskommission beurteilen.

Eine Anfang Jahr in Kraft gesetzte neue Liquiditätsverordnung ­verlangt «deutlich» höhere Puffer. Was heisst deutlich?

Zusätzlich zu den darin vorgegebenen Grundanforderungen für systemrelevante Banken kann die Finma institutsspezifische Zuschläge verfügen. Diese sind nicht öffentlich. Die systemrelevanten Banken in der Schweiz müssen aber deutlich mehr Liquidität halten als ihre ausländischen Konkurrentinnen.

Kann ein Schweizer Gesetz in einer Krisensituation wie im März 2023 überhaupt etwas bewirken?

Jein. Wir müssen unsere Hausaufgaben machen, aber die Regulierungen müssen auch international abgestimmt sein. Insbesondere bei der Abwicklung einer Bank bestehen internationale Rechtsrisiken, die es zu eliminieren gilt.

Wechseln wir zu Ihrem anderen grossen Dossier, dem Bundeshaushalt. Sie erwarten ein strukturelles Defizit von drei bis vier Milliarden Franken. Können Sie das eliminieren?

In der Bundesverfassung ist die Schuldenbremse festgeschrieben. Sie besagt, dass der Haushalt auf Dauer im Gleichgewicht sein muss. Wir können also nicht mehr ausgeben, als wir einnehmen. Um das zu erreichen, hat der Bundesrat im vergangenen Jahr das Wachstum der Ausgaben um zwei Milliarden Franken gekürzt und tut das auch jetzt wieder. Diese Massnahmen sind aber nicht nachhaltig.

Warum nicht?

Damit der Bund bei den Finanzen wieder Handlungsspielraum gewinnt, müssen wir das strukturelle Defizit beseitigen. Der Bund hat kein Problem bei den Einnahmen, sondern bei den Ausgaben. Die Einnahmen des Bundes sind im letzten Jahr gegenüber dem Vorjahr um fünf Milliarden gestiegen. Trotzdem reichte das nicht, um die Ausgaben zu decken. Die Ausgaben wuchsen noch schneller. Und so wird es weitergehen. Wir müssen also Prioritäten setzen. ­Darum hat der Bundesrat eine Expertengruppe eingesetzt, welche die Ausgaben und die Subventionen überprüft.

Haben Sie eine Vorstellung davon, welches Sparpotenzial diese Gruppe aufspüren soll?

Der Auftrag lautet: Findet vier Milliarden. Ob die Vorschläge dann politisch mehrheitsfähig sind, wird man sehen. Fast 80 Prozent des Bundeshaushalts sind Transferleistungen, an die Kantone, die Gemeinden, an den ETH-Bereich zum Beispiel. Darum ist der Haushalt so träge, er funktioniert wie ein Durchlauferhitzer. Die Experten sollen alle möglichen Entlastungsmassnahmen auf den Tisch bringen. Es gibt keine Tabus.

Die Finanzkontrolle ist in einem Bericht gerade zum Schluss gekommen, dass bei der Vergabe der Subventionen manchmal elementare Regeln nicht eingehalten werden. Muss man das hinnehmen?

Nein. Die Expertengruppe, die wir engagiert haben, wird die Erkenntnisse der Finanzkon­trolle sicher berücksichtigen.

Der Bundesrat hat kürzlich erklärt, wie die 13. AHV-Rente finanziert werden soll. Die Regierung beantragt dem Parlament unter anderem, dass der Anteil des Bundes an der AHV-­Finanzierung reduziert werden soll. Davon war im Abstimmungskampf nie die Rede. Schleichen Sie sich aus der Verantwortung?

Überhaupt nicht. Der Bundesrat hat stets kommuniziert, dass eine 13. AHV-Rente ohne Mehreinnahmen nicht zu haben ist. Der Bund bezahlt 20,2 Prozent an die AHV. Der Betrag steigt wegen der demografischen Entwicklung laufend an. Der prozentuale Anteil des Bundes soll befristet abgesenkt werden. In absoluten Zahlen wird er sich aber weiter erhöhen.

Politikerinnen und Politiker aus verschiedenen Parteien wollen, dass die Armee schon bis 2030 und nicht erst bis 2035 eine Summe erhält, die einem Prozent des Schweizer Bruttoinlandprodukts entspricht. Erachten Sie das als richtig in Anbetracht der neuen Bedrohungslage in Europa?

Der Bundesrat und das Parlament haben sich für die Variante 2035 entschieden. In der Diskussion wird zuweilen der Eindruck verbreitet, dass die Armee sparen müsse. Dabei wird sie ab 2035 eine Summe von 10,5 Milliarden pro Jahr erhalten; derzeit sind es 5,7 Milliarden. Ich finde, dass das ein schnelles Wachstum ist. Der Bundesrat ist überzeugt, dass die Schweiz ihre Fähigkeit zur Verteidigung verbessern muss. Aber wir haben auch die Schuldenbremse einzuhalten. Das Budget muss ausgeglichen sein.

Wäre die Schweiz Mitglied der Nato, müsste sie nicht ein, sondern zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für die Verteidigung ausgeben. Das Armeebudget müsste noch viel stärker erhöht werden.

Das Inlandprodukt der Schweiz ist pro Kopf wesentlich höher als jenes anderer Länder. Zudem haben wir eine Milizarmee – man müsste die Ausgaben, die aus dem Erwerbsersatz entstehen, ebenfalls berücksichtigen. Ich halte es generell für diskutabel, dass man allein auf die Kennzahl des Inlandprodukts abstellt. Im Vordergrund sollte die Frage stehen, welche Fähigkeiten die Schweizer Armee haben muss.

Sie bleiben bei Ihrem Plan?

Der Bundesrat wird davon nicht abweichen. Aber die Budgethoheit liegt beim Parlament. Wenn es schneller mehr Geld für die Armee ausgeben will, sollte es auch sagen, wie man das finanziert.

Die Schweiz liegt mit ihren Schulden weit unter den Kriterien, welche die EU im Vertrag von Maastricht vorsieht.

Wenn ich aus der Schule eine 3,5 nach Hause brachte und dem Vater sagte, meine Freundin habe nur eine 3 bekommen – dann hat ihn das nicht interessiert. Ihn beschäftigte meine eigene ungenügende Leistung. Wir können uns nicht mit Ländern vergleichen, die stark verschuldet sind. Die tiefe Verschuldung der Schweiz hat zu einer grossen Stabilität geführt, sie hat uns ermöglicht, effizient Hilfe zu leisten, als es darauf ankam, in der Pandemie und für die Flüchtlinge aus der Ukraine etwa. Die tiefen Schulden sind einer der Erfolgsfaktoren unseres Landes. Dennoch bezahlt der Bund 1,5 Milliarden Schuldzinsen pro Jahr. Ich finde, das ist immer noch zu viel.

Politiker der Linken und auch einige Ökonomen sind der Ansicht, dass der Bund die Schuldenbremse ohne Schaden für die Eidgenossenschaft ein wenig lockern könnte.

Das sind Schalmeienklänge. Diese Kreise wollen, dass die Schulden mit der Wirtschaft wachsen. Das bedingt eine Verfassungsänderung. Will das Volk an der Schuldenbremse festhalten – oder ist es für eine Rückkehr zur Schuldenwirtschaft der Neunzigerjahre? Auf das Ergebnis dieser Abstimmung wäre ich gespannt. Ich habe den Eindruck: Manche ignorieren, welch grosses Problem die hohe Verschuldung für viele Länder bedeutet. Sie haben nicht gespart, als die Zinsen bei null lagen. Nun steigen die Zinsen, und gleichzeitig müssen die Verteidigungsbudgets erhöht werden. Das geschieht auf Pump. Wollen wir das?

Wenn die Stimmberechtigten die Prämieninitiative der SP im Juni annehmen – was wären die Folgen für den Bundeshaushalt? Ist eine Erhöhung der Bundessteuer dann unvermeidlich?

Nach Angaben des Bundesamts für Gesundheit würden die Kosten für den Bund bis 2030 um 6,5 Milliarden steigen. Ohne Mehreinnahmen wäre eine solche Ausdehnung der Prämienverbilligung nicht zu finanzieren. Ich bin grundsätzlich gegen höhere Steuern – aber ohne eine höhere Bundessteuer oder eine höhere Mehrwertsteuer ist das nicht zu schaffen.

Alt Bundesrat Christoph Blocher erzählt heute noch davon, wie er die Kosten in seinem Departement ohne grosse Umstände um einen Drittel gesenkt habe. Fehlt es den Departementsvorstehern und der Bundesverwaltung am Sparwillen?

Im Justizdepartement sinken die Kosten, wenn die Zahl der Asylgesuche abnimmt. Ein anderer Punkt scheint mir relevanter: Es gibt im Parlament nicht mehr viele, die Sparpakete miterlebt haben. Als ich im Kanton St. Gallen Regierungsrätin war, mussten mehrmals Sparpakete geschnürt werden. Das gehörte dazu. In den vergangenen Jahren wurde beim Bund immer mehr Geld ausgegeben. Die Kultur des Verzichts, die Kultur der Prioritätensetzung ist verloren gegangen. Das Parlament konnte ständig neue Ausgaben beschliessen, weil der Bundeshaushalt das erlaubte. Das muss sich jetzt ändern. Ein Drama ist das nicht, es ist vernünftig.

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Ultima modifica 13.04.2024

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