Keller-Sutter zum Erben: «Meine Mutter hat für ihre Beerdigung gespart»
Tages Anzeiger (Iwan Städler, Florent Quiquerez, Adrian Moser) - Obwohl sie selbst nicht profitieren konnte, kämpfte Karin Keller-Sutter schon vor 30 Jahren gegen Erbschaftssteuern. Warum? Und was ist schlimmer: die Juso-Initiative oder die US-Zölle?
Karin Keller-Sutter ist dieses Jahr Bundespräsidentin. Aber es ist kein erfreuliches Jahr für sie. Nach einem schwierigen Telefonat mit Donald Trump und dem darauffolgenden Zollentscheid folgte letzte Woche ein weiterer Schlag: Das Bundesverwaltungsgericht hat das Vorgehen des Bundes bei der Rettung der Credit Suisse gerügt. Womöglich müssen am Ende die Steuerzahler dafür geradestehen.
Wir haben mit Karin Keller-Sutter darüber gesprochen. Und wir wollten von ihr wissen, wie sie das Volk von einem Nein zur Juso-Initiative überzeugen will. Diese verlangt, dass Erbschaften über 50 Millionen Franken zu 50 Prozent besteuert werden. Am 30. November stimmen wir darüber ab.
Frau Keller-Sutter, letzte Woche hat das Bundesverwaltungsgericht die Annullierung der sogenannten AT1-Anleihen bei der Übernahme der Credit Suisse für rechtswidrig erklärt. Es geht um 16 Milliarden Franken. Müssen die Steuerzahler nun mit einer zusätzlichen Belastung rechnen?
Das ist ein laufendes Gerichtsverfahren, bei dem der Bundesrat und das Finanzdepartement nicht Partei sind, sondern die Finanzmarktaufsicht (Finma) und die UBS. Die Finma hat entschieden, den Fall ans Bundesgericht weiterzuziehen. Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Die nationalrätliche Finanzkommission will es offenlassen, ob am Ende der Bund zahlt. Zu Recht?
Die Kommission wurde über das Urteil informiert. Mehr kann ich nicht sagen.
Die vertraglichen Bedingungen für «das »Abschreiben der AT1-Papiere seien nicht erfüllt gewesen, sagt das Bundesverwaltungsgericht. Zum einen wegen handwerklicher Fehler. Zum anderen, weil Sie damals öffentlich sagten: «This is no bailout. This is a commercial solution.» Bedauern Sie, diesen Satz gesagt zu haben?
Es handelt sich wie gesagt um ein hängiges Verfahren. Deshalb darf ich mich gegen diese Darstellung nicht wehren.
Wechseln wir also zu einem anderen wichtigen Ereignis von letzter Woche: Ihre Partei – die FDP – hat das EU-Vertragspaket gutgeheissen. Und sie will es nicht dem Ständemehr unterstellen. Sind Sie enttäuscht?
Überhaupt nicht. Für mich ist das absolut in Ordnung und entspricht auch der Haltung des Bundesrats. Jetzt ist klar, wie sich die Partei in der Vernehmlassung äussern wird. Danach werden wir sehen, wie die parlamentarische Beratung verläuft. Da kann immer Unerwartetes geschehen.
Die EU ist unser wichtigster Wirtschaftspartner. Und mit den USA hat die Schweiz gegenwärtig Schwierigkeiten. Hat dies den Entscheid der FDP beeinflusst?
Es gibt derzeit vielleicht ein stärkeres Momentum, für stabile Beziehungen mit der EU zu sorgen. Mit ihr ist das Geben und Nehmen sicher einfacher als mit den USA. Denn für die EU sind wir ein wichtiger Kunde – wie sie es auch für uns ist. Mit den USA ist die Beziehung einseitiger und damit schwieriger.
Sie sind noch bis Ende Jahr Bundespräsidentin. Werden Sie bis dahin ein Abkommen mit Donald Trump abschliessen können?
Eine Prognose ist nicht möglich. Alles hängt davon ab, ob der US-Präsident grünes Licht gibt oder nicht. Das in den Verhandlungen federführende Staatssekretariat für Wirtschaft ist mit den US-Behörden in Kontakt.
Wie hart trifft der Zollsatz von 39 Prozent die Schweizer Wirtschaft?
Der US-Zusatzzoll betrifft weniger als 10 Prozent aller Schweizer Warenexporte. Aber ich will das nicht kleinreden: Einzelne Regionen und Betriebe trifft es stark. Das ist sehr unerfreulich. Hinzu kommt, dass sich die Wirtschaftslage etwa in der Maschinenindustrie bereits vor den hohen US-Zöllen eingetrübt hatte – unter anderem wegen der Rezession in Deutschland. Auch die Exporte der Uhrenindustrie stagnieren seit zwei Jahren praktisch. Die US-Zölle kommen nun noch obendrauf.
Die Juso-Initiative setzt keinerlei Anreize, sich klimafreundlich zu verhalten.
Hätte die Juso-Initiative noch gravierendere Folgen als die US-Zölle?
Beides ist schädlich. Bei einer Annahme der Erbschaftssteuer-Initiative verlöre die Schweiz an Attraktivität für vermögende Personen. Viele Betroffene würden die Schweiz wohl verlassen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung schätzt basierend auf einem Gutachten des Lausanner Professors Marius Brülhart, dass 85 bis 98 Prozent der von der Initiative erfassten Vermögen so verschwinden könnten. Das wäre verheerend für die Wirtschaft und die Steuereinnahmen, zahlt doch das oberste Prozent rund 40 Prozent der Einkommens- und Vermögenssteuern. Fehlen diese Einnahmen beim Bund, bei den Kantonen und Gemeinden, trifft es alle. Es wäre falsch, den eigenen Standort derart zu beschädigen, besonders in einer ohnehin schon wirtschaftlich schwierigen Situation.
Sie glauben also nicht, dass sich die Finanzprobleme des Bundes mit dieser Erbschaftssteuer lösen lassen?
Nein. Deren Einnahmen wären ohnehin zweckgebunden für den Klimaschutz. Sie könnten also nicht für die AHV oder die Armee eingesetzt werden. Für den Klimaschutz gibt der Bund heute schon etwa zwei Milliarden Franken pro Jahr aus.
Die Jungsozialisten wollen die Reichen fürs Klima zahlen lassen, weil diese mit ihren Flügen und ihrem luxuriösen Lebenswandel die Umwelt besonders stark belasten. Überzeugt Sie das nicht?
Nein. Die Initiative setzt ja auch keinerlei Anreize, sich klimafreundlich zu verhalten.
Bereits mehr als ein Jahr vor der Abstimmung sorgte das Volksbegehren der Juso für viel Aufregung. Peter Spuhler und andere Unternehmer erwogen, die Schweiz zu verlassen, noch bevor das Volk entschieden hat. Wirklich gegangen ist aber kaum einer. Konnten Sie die Unternehmer beruhigen?
Sie machten sich tatsächlich grosse Sorgen – auch die Regierungen von Kantonen, die von Wegzügen stark betroffen gewesen wären. Der Bundesrat hielt deshalb bereits letztes Jahr fest, dass er sowohl ein Wegzugsverbot als auch eine Wegzugsteuer ablehnt. Beides würde gegen die Niederlassungsfreiheit verstossen, die in der Verfassung garantiert ist. Das konnte der Bundesrat in seiner Antwort auf einen parlamentarischen Vorstoss und später auch in der Botschaft klarmachen – auch dass entsprechende Massnahmen nicht rückwirkend gelten würden.
Die Initiative verlangt aber, dass Bund und Kantone ein Umgehen der Erbschaftssteuer verhindern.
Der Initiativtext verlangt nicht explizit eine Wegzugsteuer oder ein Wegzugsverbot.
Aber ein Verhindern des Wegzugs.
Sie verlangt Massnahmen gegen die Vermeidung der Steuer. Die Umsetzung einer Initiative muss zugleich in Einklang mit den Prinzipien der Verfassung erfolgen – etwa mit der Niederlassungsfreiheit oder der persönlichen Freiheit. Man kann ja auch aus familiären oder beruflichen Gründen wegziehen. Das darf man nicht verbieten.
Das mittlere Alter von Erbinnen und Erben liegt bei 60 Jahren. Sie sind 61. Haben Sie schon geerbt? Oder steht noch etwas Grösseres an?
Weder noch. Mein Vater ist 1989 gestorben, meine Mutter 2013. Sie hatten ein Restaurant geführt und verfügten über keine zweite Säule. Meine Mutter lebte von der AHV und hat für ihre Beerdigung gespart. Da blieb kein grosses Erbe zurück. Im Gegenteil: Ich habe meine Mutter bis zu ihrem Tod finanziell unterstützt.
Sie bekämpfen die Juso-Initiative, weil der hohe Steuersatz Vermögende vertreiben könnte. Was halten Sie von einer moderaten Erbschaftssteuer?
Mit Ausnahme von Schwyz und Obwalden gibt es bereits in allen Kantonen eine Erbschaftssteuer. In vielen Kantonen hat sie das Volk aber für direkte Nachkommen abgeschafft.
Entscheidend war dabei Ihr eigener Kanton – St. Gallen. Er strich die Erbschaftssteuer für Töchter und Söhne 1997, um attraktiv für Vermögende zu sein. Dies hat eine regelrechte Lawine ausgelöst. Aus Angst vor flüchtenden Reichen zog ein Kanton nach dem anderen nach.
Ich war damals im St. Galler Kantonsrat.
Und wie haben Sie abgestimmt?
Ich stimmte für die Abschaffung, obwohl ich wusste, dass ich persönlich nicht davon profitieren werde. Das innerhalb einer Familie erarbeitete Geld ist ja schon mehrfach als Einkommen und Vermögen versteuert worden. Da erschien es mir falsch, es noch einmal zu besteuern.
Eine ganz gerechte Welt und ganz gerechte Steuern wird es nie geben.
Damals war Kaspar Villiger Finanzminister – auch er ein Freisinniger. Er hat Ende der 90er-Jahre bedauert, dass ein Kanton nach dem anderen die Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen abschafft.
Auch Kaspar Villiger sprach sich 2015 gegen eine nationale Erbschaftssteuer aus. Und es dürfte klar sein, dass er die Juso-Initiative nicht unterstützt.
Mit Sicherheit. Villiger kämpfte nie für eine nationale Erbschaftssteuer – schon gar nicht für eine von 50 Prozent. Er wollte aber das Verschwinden der kantonalen, moderaten Erbschaftssteuern verhindern. Denn er fand, diese Steuer schneide gegenüber anderen gut ab – weil sie im Gegensatz zur Einkommens- und Vermögenssteuer die Leistung nicht bestrafe. Das sehen auch liberale Ökonomen so.
Es gibt auch Ökonomen, die sagen, die Erbschaftssteuer sei nicht effizient, weil sie eben dazu führt, dass man ihr ausweicht – zum Beispiel mit einem Umzug. Die Erträge sind deshalb auch schwer schätzbar.
Verstösst es nicht gegen Ihr Gerechtigkeitsempfinden, dass die hart arbeitende Angestellte ihren Lohn versteuern muss, der Millionenerbe seinen Geldsegen aber nicht?
Eine ganz gerechte Welt und ganz gerechte Steuern wird es nie geben. Ich finde es korrekt, dass man das erarbeitete Geld innerhalb der Kernfamilie weitergeben kann, ohne dass der Staat einen Teil davon abzweigt – zumal ja alles schon versteuert wurde: sei es als Einkommen oder Vermögen.
Consigliera federale Karin Keller-Sutter

Anno presidenziale 2025
Karin Keller-Sutter sarà la presidente della Confederazione nel 2025.

Biografia
La consigliera federale Karin Keller-Sutter è a capo del Dipartimento federale delle finanze da gennaio 2023.

Foto autografata
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Interviste e contributi
Selezione di interviste della Presidente della Confederazione Karin Keller-Sutter.

Discorsi
I discorsi della presidente della Confederazione Karin Keller-Sutter in versione integrale.