Von Hunt, Hunden und Vertrauen

Eröffnungsrede SMF 2023 von Bundesrätin Karin Keller-Sutter in Luzern

Sehr geehrte Damen und Herren

Kennen Sie Frederick Knight Hunt? Hunt war ein britischer Gelehrter im 19. Jahrhundert. Er prägte den Begriff der Medien als «vierte Gewalt» im Staat. Woher ich das weiss? Ich habe es auf Wikipedia gelesen. Stützen Sie sich bei Ihrer Arbeit auch auf Wikipedia? Keine Sorge, ich erwarte keine Antwort. Jedenfalls keine ehrliche!

Vor nicht allzu langer Zeit hatte Wikipedia ja noch fast etwas Anrüchiges. Wer etwas auf sich hielt, der gab zumindest nicht offen zu, sich in diesem Online-Lexikon zu bedienen. Und wenn Medienschaffende und Politikerinnen und Politiker etwas gemeinsam haben, dann sicher dies: Dass wir doch Einiges auf uns halten! Aber wir sind ja hier unter uns. Sie dürfen also gerne zugeben, dass auch Sie hin und wieder Wikipedia benutzen.

Immerhin sind die Inhalte dort gewissermassen der ständigen Überprüfung durch die Schwarmintelligenz ausgesetzt. Es stecken auch keine politischen Finsterlinge dahinter, sondern Menschen, die – zumeist! – in bester Absicht Wissen sammeln und weitergeben wollen.

Wir wissen natürlich auch: Nicht jeder Eintrag ist gleich verlässlich. Der Eintrag zu Trump wurde vermutlich gründlicher geprüft als der Eintrag zu Hunt. Aber Wikipedia hat sich über die Jahre unser Vertrauen verdient. Es ist wie einst der Brockhaus zur Institution geworden.

Vertrauen und Institutionen – darüber möchte ich heute sprechen.

Zunächst: Was ist das überhaupt, dieses «Vertrauen»? Intuitiv glaubt man das zu wissen. Man spürt es. Aber wenn man es ausdeutschen soll, wird es schwieriger. Was tut man in solchen Situationen? Sie ahnen es: Man befragt Wikipedia.

«Vertrauen», heisst es da, ich zitiere, «bezeichnet eine bestimmte Art von subjektiver, auch emotional gefärbter, Überzeugung, nach der man sein Verhalten einrichtet; hierdurch ist das Vertrauen auch eine Praxis, ein System des Handelns. Das Vertrauen auf eine andere Person beinhaltet Überzeugungen über ihre Redlichkeit und ihre zukünftigen Handlungsweisen: Man erwartet, dass diese Person einem hilfreich sein oder jedenfalls nicht schaden werde. Vertrauen bringt daher Kooperation hervor.»

Der letzte Satz ist zentral. Vertrauen bringt Kooperation hervor. Vertrauen ist somit eine Grundbedingung für ein erfolgreiches Zusammenleben. Vertrauen nicht nur in unsere Mitmenschen, sondern auch Vertrauen in unsere Institutionen.

Staats- und Politikwissenschaftler sind sich da weitgehend einig: Vertrauen in die Institutionen ist eine wesentliche Grundlage für das Funktionieren des Staates. Übrigens nicht nur für den Staat: Der Niedergang der Credit Suisse hat gezeigt, wie verheerend die Folgen sein können, wenn man das Vertrauen in eine Institution verliert.

Dass wir staatlichen Institutionen grundsätzlich vertrauen können, darüber müssen wir uns in der Schweiz – zum Glück! – nicht jeden Tag den Kopf zerbrechen. Wir nehmen Vertrauenswürdigkeit im Alltag als gegeben an. Man muss nicht besonders weit reisen, um zu sehen, dass es auch anders sein kann.

Ich will damit nicht sagen, dass die staatlichen Institutionen in der Schweiz stets ohne Fehl und Tadel handeln. Es geschehen Fehler. In den Institutionen sind es ja immer Menschen, die Entscheidungen treffen. Und das menschliche Tun ist fehlerbehaftet.

Hier ist es Ihre Rolle, kritisch zu sein und genau hinzuschauen. Die vierte Gewalt, die Sie repräsentieren, ist auch dazu da, Fehler und Missstände aufzudecken. Das ist eine noble, eine notwendige Aufgabe. Denn Vertrauen in die Institutionen kann nur dauerhaft erhalten werden, wenn Fehlverhalten korrigiert wird.

Es ist auch Ihre Rolle, Aussagen und Informationen zu prüfen, komplexe Sachverhalte verständlich zu vermitteln und den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern informierte Entscheide zu ermöglichen. Sie sind also der Watchdog. Der Wachhund der Demokratie.

Ich mag, wie Sie vielleicht wissen, Hunde. Ich hatte selber einen. Und heute bin ich Patin von Zeus, einem Bernhardiner. Zeus hatte am 11. April Geburtstag. Er ist jetzt vier Jahre alt, 73 kg schwer und stolzer Vater. Hunde sind bekanntlich die besten Freunde des Menschen. Und der Public Watchdog ist sozusagen der beste Freund der Institutionen.

Sie verkörpern diesen Watchdog. Sie wissen darum, dass er gut ausgebildet und überaus diszipliniert sein muss, wenn er seine Aufgabe gut erfüllen möchte. Er muss kritisch sein, auch selbstkritisch, jede Information hinterfragen, den Kontext prüfen und Fakten von Meinungen – im Idealfall – messerscharf treffen. Das ist manchmal eine fast unmenschliche Aufgabe.

Der britische Gelehrte Hunt hatte damals in seinem Werk zur vierten Gewalt übrigens festgehalten, dass der Journalist keine Freizeit habe. Ich hoffe, die Zeiten haben sich seither etwas geändert!

Neben dem klassischen, professionellen Wachhund, lassen sich in den Medien aber noch andere Hundetypen erkennen. Bei Analogien muss man ja immer etwas aufpassen. Es ist ein rutschiges Parkett. Ich riskiere es jetzt trotzdem. Sie sollen ja auch etwas zum Beissen haben.

Ich stelle Ihnen drei Typen gerne kurz vor.

Da ist erstens der Kläffer. Der Kläffer gibt bei jeder Regung grundlos laut. Bei jeder vermeintlichen oder tatsächlichen Unebenheit eines politischen Entscheids schlägt er zuverlässig Alarm, wittert immer den Skandal. Ich sollte das Ihnen eigentlich nicht verraten: Aber aus Sicht der Politikerinnen und Politiker hat der Kläffer auch einen grossen Vorteil. Er kläfft zwar schnell und laut – er hört aber ebenso schnell wieder auf.

Dann gibt es zweitens den Wadenbeisser. Ihn interessiert der Gehalt einer Entscheidung oder die Institution nur am Rande. Es geht ihm um die Wade. Darum spielt er gerne auf den Mann oder die Frau. Von lästigen Fakten lässt er sich selten beirren. Der Wadenbeisser ist langsamer als der Kläffer, dafür auch weniger vorhersehbar. Ich kann Ihnen sagen: Wenn der Wadenbeisser zubeisst, kann das schmerzhaft sein! Aber ich weiss auch: Es geht vorbei.

Und dann gibt es, drittens, den Kettenhund. Der Kettenhund agiert aus der Lauerstellung. Er ernährt sich gerne von hingestreuten Indiskretionen. Und weil die Indiskretionen exklusiv sind, ist er nicht sehr wählerisch. Wenn er dann von der Kette gelassen ist, verbeisst er sich übrigens in alles, ausser in die Quelle, die ihn speist.


Geschätzte Anwesende,

Ich bleibe dabei: Ich mag Hunde.

Und es ist auch kein fundamentales Problem, wenn der eine oder andere Watchdog einmal etwas zu schnell bellt, zu früh zubeisst und sich bei alldem auch noch die falsche Wade aussucht.
Das hält das System aus. Und im Bundesrat haben wir uns sowieso längst Beinschoner zugelegt!

Problematisch aber wird es, wenn das Vertrauen in eine Person oder eine Institution – und jetzt komme ich auf das eigentliche Thema zurück – absichtlich und ohne guten Grund unterhöhlt wird.

Das Publikum hat dann nämlich im Grunde nur zwei Möglichkeiten:

Entweder es verliert das Vertrauen in den Wachhund – das wäre nicht nur für Ihre Branche ein Problem, sondern für uns alle, weil wir in einer Demokratie auf eine funktionierende vierte Gewalt angewiesen sind.

Oder es verliert das Vertrauen in die Angebellten – die Institutionen. Und das wiederum, ich habe es erwähnt, wäre ein Problem für das Funktionieren unseres Staates und unser Zusammenleben.

Unter dem schönen Titel «Trust Me, I’m a Politician» hat ein britischer Dokumentarfilm dieses Phänomen schon im Jahr 2003 untersucht. Er ging der Frage nach, wie sich das Zusammenspiel zwischen Politikern, Medien und Öffentlichkeit verändert hat. Dabei ging es auch um Vertrauen. Was glauben Medien den Politikern und was die Öffentlichkeit den Medien? Wer vertraut wem?

Die Bilanz der Dokumentation war alarmierend. Die zum Teil sachlich nicht gerechtfertigten Angriffe der britischen Tabloids – ich verzichte jetzt auf die Analogie mit Pitbulls -, aber auch des Fernsehens auf Politikerinnen und Politiker hätten das Vertrauen der Bevölkerung erodieren lassen. Auch darum übrigens, weil sich Politiker unter medialem Dauerbeschuss immer weniger getrauten, zuzugeben, wenn sie etwas nicht wissen oder sich geirrt haben. Und stattdessen aus Angst immer mehr auf inhaltsleere Sprechblasen auswichen. Was wiederum die Angriffe der Medien nur noch befeuerte.

Der Dokumentarfilm zeichnet einen polit-medialen Teufelskreis. Und das Publikum? Die Bürgerinnen und Bürger, um die es je eigentlich geht? Sie vertrauen zunehmend keinem mehr. Weder den Medien, noch den Politikern. Die Folge sei Resignation in der Bevölkerung und Rückzug aus der politischen Mitbestimmung, so die Quintessenz des Dokumentarfilms.

Das war der Befund im Jahr 2003. Er war schon damals alarmierend für eine Demokratie. Seither erlebten wir den Aufstieg der sozialen Medien. Es bildeten sich Blasen. Algorithmen übernahmen die Regie. Es entstand der Begriff «alternative facts». Professionelle Medien sahen sich plötzlich als «Mainstream», als «Lügenpresse» verunglimpft. Der Begriff «Qualitätsmedien» wird in gewissen Kreisen nur noch ironisch benutzt. Sie kennen das. Es ist viel Vertrauen verloren gegangen.

Und die Medien? Interessant ist ja, wie der Begriff «Vertrauen» von den Medien selber benutzt wird. Ich habe dazu keine empirische Untersuchung angestellt. Da ich aber sicher zu den intensiveren Nutzern Ihrer Arbeit gehöre, erlaube ich mir folgende Beobachtung:

Regelmässig liest man, dieser oder jener Bundesrat habe Vertrauen verspielt, an Vertrauen eingebüsst; das Vertrauen in diese oder jene Institution sei erschüttert, sei angeknackst, am Schwinden und Verschwinden.

Umgekehrt kann ich mich kaum daran erinnern, dass ein Medium einmal vermerkt hätte, es sei Vertrauen geschaffen, aufgebaut oder sogar verdient worden.

Unter dem Strich müsste sich – in dieser medialen Wirklichkeit - eigentlich längst jegliches Vertrauen in die Institutionen verflüchtigt haben.

Schaut man sich die verfügbaren Zahlen an, so zeigt sich hier eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der veröffentlichten Einschätzung und der gemessenen Realität.

Die ETH erhebt jährlich den Index des Vertrauens in die öffentlichen Institutionen. Der Indexwert für das Vertrauen in den Bundesrat lag im Jahr 2022 bei 7,3 Punkten von maximal 10 Punkten. 7,3 Punkte, das ist der höchste Wert, seit diese Umfrage durchgeführt wird.

Ich verheimliche Ihnen nicht, dass das Vertrauen in die Polizei oder auch in die Wissenschaft noch grösser ist als in den Bundesrat!

Um die Harmonie im Saal nicht zu stören, verzichte ich hingegen darauf, den Wert zu nennen, der das Vertrauen in die Medien wiedergibt. Sie kennen ihn.

Sie haben vermutlich gelernt, damit zu leben, die Rangfolge ist ja nicht neu. Aber man muss diese Zahlen natürlich ernst nehmen.

Umso mehr in Zeiten, in denen das Vertrauen in seriöse Medien, wo professionelle Watchdogs nach journalistischen Standards arbeiten können, in so genannt sozialen Medien und von so genannt alternativen Medien zusätzlich untergraben wird. Unterstellt wird wahlweise eine Verschwörung unter den Medien, die Käuflichkeit der Journalisten oder ein zensierend-konspirativer Einfluss der Regierung auf den Journalismus. All das sind keine Narrative, die Vertrauen fördern sollen.

Ich könnte jetzt auch sagen: Willkommen im Club der Angebellten!

Aber die Sache ist ernst: Die Diskreditierung der Medien erfolgt auch mit dem Ziel, die politische Stabilität und den rationalen Diskurs zu untergraben. Das macht es nicht weniger bedrohlich.

Man will den Watchdog ausschalten, um nachher einfacher ins Haus einbrechen zu können.

Ein funktionierendes und vor allem vertrauenswürdiges Mediensystem ist aber – ich wiederhole es gern – eine Grundbedingung für die Demokratie. Gegenrealitäten und alternative Fakten können gefährlich sein. Insofern begrüsse ich jeden Schritt Ihrer Branche, das Vertrauen in Ihre Tätigkeit zu erhalten und zu stärken.

Geschätzte Damen und Herren

Alles, was gross werden soll, muss im Kleinen beginnen. Vermeintlich altmodische Tugenden wie Qualität, Relevanz, Präzision, Fairness und Faktentreue in der Berichterstattung sind hierfür Schlüsselbegriffe. Das mag alles etwas langweilig sein. Langweiliger als ein blutiger Biss in die Wade oder lautes Gebell.

Aber es schafft Vertrauen – in die vierte Gewalt. Und das stärkt die Demokratie und damit eine offene, faire Gesellschaft. Letztlich sitzen wir da alle im gleichen Boot. Es ist unsere gemeinsame Demokratie. Wir haben nur diese. Wir sind aufeinander angewiesen. Damit das funktioniert, muss jeder von uns seine Rolle nach bestem Wissen und Gewissen spielen.

Dass Sie das im Auge behalten und Ihr Tun gelegentlich auch in diesem Licht reflektieren, dafür haben Sie, geschätzte Damen und Herren, übrigens mein vollstes Vertrauen.

Ich wünsche Ihnen ein gelungenes Swiss Media Forum 2023.

Danke.

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Ultima modifica 11.05.2023

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