Und sie bewährt sich noch immer!

Veranstaltung zu 20 Jahren Schuldenbremse vom 5. September 2023 im Bernerhof, Referat von Bundesrätin Karin Keller-Sutter

Hinweis: Es gilt das gesprochene Wort

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Gäste

Es heisst, man sollte in einer Rede immer auch einen Dank aussprechen. Ich muss das heute etwas überstrapazieren. Als amtierende Finanzministerin bin ich nämlich meinem Vor-vor-vor-vorgänger im Amt und heutigen Vorredner, Kaspar Villiger, dankbar, dass er als Finanzminister schlaflose Nächte und gute Ideen hatte. Er hat mir damit zu einer guten Freundin in meinem neuen Amt als Finanzministerin verholfen: Der Schuldenbremse.

Aber was ist eine politische Idee wert, wenn sie nicht von der Gesellschaft getragen wird? Darum bin ich auch der Schweizer Stimmbevölkerung dankbar. Sie hat damals, am 2. Dezember 2001, diese neue Verfassungsbestimmung mit fast 85 Prozent angenommen – und der Schuldenbremse damit eine aussergewöhnlich hohe demokratische Legitimität verliehen.

Und ich danke der Eidgenössischen Finanzverwaltung und ihrer Direktorin Sabine D’Amelio-Favez, die heute diesen Anlass zum 20. Geburtstag der Schuldenbremse organsiert haben. Herzlichen Dank Ihnen allen, aber auch Ihnen, geschätzte Anwesende, dass Sie heute hier sind. Ich möchte mit ein paar Zitaten beginnen, die Kaspar Villiger vielleicht bekannt vorkommen.

Das erste Zitat lautet so:

«Cet instrument diabolique, unique au monde (…) est une sorte de machin incompréhensible.»

Das ist nicht etwa ein Zitat aus dem 19. Jahrhundert über die Erfindung der Eisenbahn oder des Automobils – Erfindungen, in denen damals manche Teufelswerk zu erkennen glaubten. Die Warnung vor dem diabolischen, unverständlichen Instrument stammt natürlich aus dem Jahr 2001, als der Nationalrat die Schuldenbremse debattierte. Es ist so: Neue Ideen lösen immer auch Ängste aus. Waren sie aber auch berechtigt? Wir können das heute, wo wir 20 Jahre lang Erfahrungen mit der Schuldenbremse sammeln konnten, natürlich besser beurteilen als damals.

Darum ein zweites Zitat aus der damaligen Debatte im Nationalrat:

«M. Villiger est un homme heureux parce qu’il vient d’inventer (…) un véritable pilotage automatique de la politique budgétaire qui lui permettra de prendre de longues vacances, ainsi qu’à nous tous, puisque ce ne seront plus les autorités politiques qui définiront la politique budgétaire, mais une formule technocratique.»

Ich gehe davon aus, dass Kaspar Villiger auch nach Einführung der Schuldenbremse keine langen Ferien gemacht, sondern weiterhin hart gearbeitet hat. Ich muss mich korrigieren: Ich gehe nicht nur davon aus, ich weiss es! Wir wissen es übrigens auch von Hans-Rudolf Merz, der 2009 – Kaspar Villiger hat es erwähnt – die Ergänzungsregel zur Schuldenbremse  eingeführt hat, die vorgibt, wie die Fehlbeträge auch im ausserordentlichen Haushalt abgebaut werden. Die Schuldenbremse entbindet den Finanzminister oder die Finanzministerin, aber auch den Bundesrat und das Parlament nämlich keineswegs von der Arbeit. Im Gegenteil.

Ich hätte Anfang Jahr sicher einen gemächlicheren Einstieg ins Amt als Finanzministerin gehabt, wenn ich nicht dafür hätte sorgen müssen, dass wir dem Parlament einen schuldenbremsenkonformen Voranschlag unterbreiten können. Ich hätte die Energie sparen können für die CS-Krise! Aber wichtiger in der zitierten Aussage ist ja die Befürchtung, wonach die Politik zum Budget gar nichts mehr zu sagen hätte, wenn man die Schuldenbremse einführen würde. Auch diese Befürchtung hat sich nicht bewahrheitet. Sowohl der Bundesrat wie auch das Parlament, das die Budgethoheit hat, diskutieren Jahr für Jahr intensiv über die Ausgaben- und die Einnahmenpolitik des Staates. Die Politik setzt Prioritäten – oder könnte es zumindest tun. Die Politik kann auch neue Ausgaben beschliessen.

Wenn wir aber neue Ausgaben beschliessen, müssen wir schauen, wie wir diese neuen Ausgaben finanzieren können, ohne die Rechnung einfach den nachfolgenden Generationen zu hinterlassen. Und das ist natürlich der Clou der Schuldenbremse – er ist so einfach wie genial. Dass der Fantasie für neue Ausgaben in der Politik kaum Grenzen gesetzt sind, das ist ja auch nichts Neues. Wir können das nachlesen in der Botschaft des Bundesrats zum Voranschlag für das Jahr 1912. Damals, also vor über 100 Jahren, hatte der Bundesrat die fehlende Ausgabendisziplin des Parlaments mit folgenden Worten getadelt – ich zitiere:

«Wir müssen den festen Entschluss fassen, einzuhalten in diesem Jagen nach neuen Ausgaben, in diesem Sichhinreissenlassen und gegenseitigen Sichüberbieten, das sich jeweilen bei der Beratung des Budgets kundgibt und sich auch in den zahlreichen Postulaten äussert, von denen die Mehrzahl eine Vermehrung der Ausgaben in sich schliessen.»

Zitatende. Man gibt seinen Wählerinnen und Wählern lieber, als dass man ihnen etwas wegnimmt. Kaspar Villiger hat diese verständliche menschliche Neigung anschaulich dargelegt. Ich komme zum dritten Zitat aus der parlamentarischen Beratung der Schuldenbremse im Jahr 2001:

«Cet instrument (…) ne sert qu’à ça : Réduire la dépense publique et mettre en cause les mécanismes de redistribution des richesses ».

Auch diese Annahme lässt sich heute, 20 Jahre später, leicht widerlegen. Trotz Schuldenabbau sind die staatlichen Ausgaben in den letzten 20 Jahren nicht etwa gesunken – im Gegenteil: Sie sind von rund 50 Mrd. im Jahr 2003 auf über 80 Mrd. gestiegen. Und sie werden übrigens auch im nächsten Jahr weiter wachsen (um hohe 4,1 Prozent). Es gab in diesen zwei Jahrzehnten natürlich auch Abweichungen –namentlich auch Ausreisser nach oben in den Corona-Jahren, ich komme gleich darauf zurück. Aber die Staatsquote blieb über all die Jahre annähernd stabil. Es ist auch nicht so, dass die Schweiz ihre Investitionen vernachlässigt hätte. Sie hat viel investiert, sei es in die Strasse, die Bahn oder in die Bildung. Der Anteil der Investitionen blieb insgesamt relativ stabil, in den letzten Jahren hat er sogar stärker zugenommen als die Gesamtausgaben oder das Bruttoinlandprodukt.

Geschätzte Anwesende, ich habe die Corona-Jahre erwähnt. Auch Kaspar Villiger hat darauf hingewiesen. Sie waren eine wichtige Bewährungsprobe für die Schuldenbremse. Es wurde vor ihrer Einführung im Parlament nämlich auch befürchtet, dass die Schuldenbremse gerade in Zeiten der Krise schädlich sein werde, weil man dann nicht mehr genügend Geld habe, um den Arbeitslosen zu helfen, die auf die nationale Solidarität angewiesen seien, aber auch den Unternehmen.

Und auch diese Bewährungsprobe hat die Schuldenbremse bestanden. Innert kürzester Zeit musste der Bundesrat nach Ausbruch der Pandemie den Leuten – vom Künstler bis zur Gewerblerin – unter die Arme greifen, weil sie als Folge der zwar nötigen, aber natürlich weitreichenden Eingriffe des Staates in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben zum Teil in existenzielle Nöte gerieten. Allein im Jahr 2020 hat der Bund dafür zusätzliche Ausgaben von rund 15 Milliarden Franken getätigt, 2021 waren es noch einmal 14 Milliarden Franken. Wir waren 2022 auch in der Lage, die Ausgaben zu tätigen, die nötig wurden, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hat und Zehntausende ukrainische Menschen auch in der Schweiz Schutz suchten.

Die nationale Solidarität spielte in beiden Fällen. Und ich erwähne schliesslich die Bewältigung der Credit-Suisse-Krise. Die vom Bund mit Garantien in der Höhe von 109 Milliarden Franken unterstützte Stabilisierungsaktion gelang nicht nur deshalb, weil mit der UBS eine solide Bank da war, die bereit war, die Credit Suisse zu übernehmen, sondern auch, weil die staatliche Unterstützung dieser Übernahme glaubwürdig war.

Von Beginn an waren in der Schuldenbremse also Mechanismen eingebaut, die dem Staat und der Politik die nötige Flexibilität erlauben. Und die vergangenen Krisen zeigen: Auch diese Mechanismen haben sich bewährt.Ökonominnen und Ökonomen würden vielleicht von einer doppelten Dividende sprechen. Die Schuldenbremse sorgt erstens für eine nachhaltige Finanzpolitik und damit für Stabilität. Auch nach der Credit-Suisse-Krise und bevor die UBS im August auf die staatlichen Garantien verzichtete, bewerteten die Ratingagenturen die Kreditwürdigkeit der Schweiz weiterhin mit der Bestnote. Ein stabiler und resilienter Staat ist auch für den Wirtschaftsstandort zentral. Und die Wirtschaft ist – man kann es nicht genug wiederholen – kein Selbstzweck: Arbeitgeber und Arbeitnehmer schaffen gemeinsam Wohlstand und damit soziale Sicherheit für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Schweiz. Diese Stabilität ist die erste Dividende der Schuldenbremse.

Die zweite Dividende ist ihr Beitrag an die staatliche Handlungsfähigkeit. Eine nachhaltige Finanzpolitik erlaubt es dem Staat, in der Krise schnell und wirkungsvoll zu handeln, ohne die Stabilität zu gefährden.

Erlauben Sie mir zum Schluss einen kurzen Ausblick. Wo stehen wir heute. Wie Sie wissen, konnten wir dieses Jahr im Bundesrat relativ geräuschlos den Voranschlag 2024 bereinigen – obschon wir das Ausgabenwachstum gegenüber der Finanzplanung um insgesamt rund zwei Milliarden Franken senken mussten, um die Vorgaben der Schuldenbremse einhalten zu können. Es verbleiben in der Finanzplanung aber Herausforderungen. Das liegt nicht daran, dass uns die Einnahmen wegschmelzen würden. Die Einnahmen steigen. Es liegt daran, dass wir mit einer Vielzahl neuer Ausgabenbegehren konfrontiert sind. Zum Teil sind sie eine Folge der jüngsten Krisen: Dazu gehören die Pläne zur starken Erhöhung der Armeeausgaben. Dazu gehören aber auch die künftigen Kosten für den Wiederaufbau der Ukraine, an den auch die Schweiz einen Beitrag wird leisten müssen. Als Folge der demographischen Alterung werden auch die Ausgaben der AHV weiterhin stark steigen. Es gibt aber auch Tendenzen in der nationalen Politik, kantonale Aufgaben zu zentralisieren, ich denke an die Prämienverbilligungen und an die Subventionierung der Fremdbetreuung von Kindern. Alles wird man nicht finanzieren können, ohne Reformen anzupacken oder eben Prioritäten zu setzen und anderswo Abstriche zu machen.

Aber immer, wenn der Verteilkampf härter wird, kommt auch die Versuchung zurück in die Politik, die Schuldenbremse wieder aufzuweichen – umso mehr, als die Schuldenquote der Schweiz trotz Corona im internationalen Vergleich weiterhin sehr tief ist, was natürlich auch dem guten Konjunkturverlauf in den Vor-Corona-Jahren zu verdanken ist. Es ist vielleicht wie bei jenen, die aufgehört haben zu rauchen und nach einer gewissen Zeit denken, sie hätten ihre Sucht im Griff, eine einzige Zigarette könne ihnen nichts anhaben – und ehe sie es sich versehen, fallen sie in den alten Trott zurück.

Wir stehen heute vermutlich an einem Wendepunkt. Wir können uns heute die Schulden, die wir haben, gut leisten. Aber das kann sich schnell ändern. Als Kaspar Villiger vor 22 Jahren im Parlament die Schuldenbremse verteidigte, musste die Schweiz jährlich 3 bis 4 Milliarden Franken Zinsen zahlen. Und er erinnerte das Parlament daran, dass das ungefähr der Betrag ist, den damals die Armee kostete, und es war sogar mehr, als der Bund für Bildung und Forschung ausgab. Wir kommen jetzt aus einer langen Phase des billigen Geldes. Im Jahr 2021 kosteten uns die Schulden des Bundes noch 760 Millionen Franken. Inzwischen sind es bereits wieder fast eine Milliarde Franken und nächstes Jahr dürfte dieser Betrag aufgrund der gestiegenen Zinsen auf 1,5 Milliarden anwachsen.

Ich halte nichts von Schwarzmalerei. Mich besorgt zwar die gegenwärtige Entwicklung der Weltwirtschaft. Die jüngsten Krisen haben mich aber zuversichtlich gestimmt, dass wir auch künftige Herausforderungen meistern können. Und gerade darum sollten wir das Erreichte nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. In diesem Sinne überlasse ich das letzte Wort dem Volksmund, der bekanntlich besagt:

«Spare in der Zeit, so hast du in Not.»

Ich wünsche Ihnen eine spannende Veranstaltung und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

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Ultima modifica 07.02.2024

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