«Ich wusste nicht mehr, ob Donnerstag oder Samstag ist»

Tagesanzeiger (Markus Häfliger, Konrad Staehelin, Delphine Gasche): Finanzministerin Karin Keller-Sutter sagt, wie viel Geld der Bund mit der CS-Rettung verdient hat. Und sie kündigt eine erste Gesetzesänderung an, um ein neues Grossbanken-Desaster zu verhindern.

Zwei Monate ist es her, dass der Bund die CS vor dem Kollaps retten musste. Was von diesem dramatischen Wochenende werden Sie nie vergessen?

Vor allem diese unglaubliche Spannung und Hektik. Den Druck, in kürzester Zeit eine Lösung finden zu müssen – denn am Montag wäre die CS in Konkurs gegangen, mit unabsehbaren Folgen für die Schweiz und das globale Finanzsystem. Irgendwann verlor ich das Zeitgefühl, ich wusste nicht mehr, ob Donnerstag oder Samstag ist. Und ich erinnere mich auch an etwas sehr Positives.

Nämlich?

Im Bundesrat und bei den anderen beteiligten Behörden gab es einen guten Zusammenhalt. Alle haben am gleichen Strick gezogen, um Unheil vom Land abzuwenden. Ich sage das auch, weil immer wieder behauptet wird, der Bundesrat sei zerstritten.

Sie wollen sagen: Das Land kann sich auf seine Regierung verlassen?

Wir sind in der Schweizer Politik vielleicht nicht immer die Schnellsten. Aber wenn es sein muss, können wir sehr schnell sein. Die CS-Krise hat auch gezeigt: Unsere Institutionen funktionieren. Die Schweiz ist handlungsfähig.

Die CS-Rettung ist das prägende Geschäft Ihres Politikerinnenlebens. Doch das Urteil über Ihre Leistung fällen nicht Sie, sondern eine parlamentarische Untersuchungskommission, eine PUK. Wie fühlt es sich an, so ausgeliefert zu sein?

Es gab in meiner Bundesratstätigkeit schon nicht nur die CS. Zuvor war ich immerhin vier Jahre im Justizdepartement und hatte dort auch eine herausfordernde Situation mit den Flüchtlingen aus der Ukraine. Für die Schweiz wird die Rettung der CS sicher als Einschnitt in die Geschichtsbücher eingehen. Aber ich glaube nicht, dass man diese Geschichte nur auf mich beziehen kann. Ich war erst wenige Wochen im Finanzdepartement, als es passierte.

Was soll die PUK genau untersuchen?

Ich persönlich begrüsse, dass es eine PUK geben soll. Es ist am Parlament, den Inhalt seiner Untersuchung zu definieren. Ich finde, das Mandat sollte umfassend sein und es der PUK erlauben, auch die Vorgeschichte und die Gründe dieser Krise aufzuarbeiten. Nur so können wir Lehren für die Zukunft ziehen.

Ihr Amtsvorgänger Ueli Maurer deutete an, er hätte Ideen gehabt, die das Debakel vielleicht hätten verhindern können. Er habe dafür im Bundesrat aber keine Mehrheiten bekommen. Stimmt das?

Diese Frage kann ich nicht beantworten.

Warum nicht?

Genau solche Fragen sind durch die PUK zu klären.

Ihre Partei, die FDP, wies in einer Medienmitteilung auf die Mitverantwortung von Ueli Maurer hin. Wie sehen Sie seine Rolle?

Dazu kann ich nichts sagen. Nur generell: Man muss aufpassen, dass man nicht Feuerwehr und Brandstifter verwechselt. Die Verantwortung für die Credit Suisse tragen der Verwaltungsrat und die Geschäftsleitung – und nicht der Bundesrat.

Im April hat das Parlament den 109-Milliarden-Nachtragskredit für die CS abgelehnt – Ihre bisher grösste Niederlage als Bundesrätin.

Dieses Nein kam nicht überraschend, weil SVP und SP es schon vorher angekündigt hatten. Natürlich habe ich für ein Ja gekämpft. Aber es war auch allen im Parlament bewusst, dass ein Scheitern keine unmittelbaren Konsequenzen haben würde. Sonst hätte es vielleicht kein Nein gegeben. Ich kann mit diesem Ergebnis darum gut umgehen.

Was muss an unseren Gesetzen geändert werden, damit ein Fall CS nie mehr passiert?

Diese Frage kommt zu früh. Wenn Sie zum Arzt gehen, verschreibt er Ihnen auch nicht auf Vorrat zehn oder fünfzehn Medikamente. Sondern er klärt mit einer sauberen Diagnose ab, welches wirklich wirkt. Das Parlament hat meinem Departement mit neun Postulaten ganz viele Prüfaufträge erteilt. Es geht um die Boni, um die mögliche Einführung eines Trennbankensystems, um härtere Eigenmittelvorschriften und vieles mehr. Wir haben nun eine Expertengruppe eingesetzt, die uns zu diesen Fragen Grundlagen liefern soll.

Und am Ende passiert dann vielleicht gar nichts – und in fünfzehn Jahren muss der Staat eine noch viel grössere Grossbank retten?

Nichts wird nicht geschehen. In einem Punkt kann ich mich schon heute positionieren: Die Finanzmarktaufsicht, die Finma, muss sicherlich gestärkt werden. Zum Beispiel über eine Bussenkompetenz oder auch ein Senior-Management-System, das im angelsächsischen Raum bereits gilt. Heute ist es juristisch fast unmöglich, irgendjemanden für grobes Versagen zur Rechenschaft zu ziehen.

Beim Bundesverwaltungsgericht sind rund 230 Klagen gegen die Abschreibung der sogenannten AT1-Obligationen eingegangen. Die UBS hat dadurch 16 Milliarden gewonnen. Wer bezahlt den Schaden, falls die Kläger vor Gericht gewinnen: der Bund oder die UBS?

Das sind heikle Fragen, zu denen ich mich nicht äussern kann. Es ist nun an den Gerichten zu entscheiden.

Die CS hatte zeitweise bis zu 170 Milliarden Franken an Liquidität von Bund und Nationalbank bezogen. Wie viel ist es heute noch?

Zu jenem Teil der Liquiditätshilfen, die ohne Bundesgarantie von der Nationalbank kamen, kann ich nicht antworten. Die Liquiditätshilfen, die durch Bundesgarantien gesichert sind, belaufen sich derzeit auf 5 Milliarden Franken. Ich gehe davon aus, dass sie bald vollständig zurückgezahlt sein dürften.

Die CS muss dem Bund dafür verschiedene Prämien zahlen. Wie viel nehmen Sie damit ein?

Bis jetzt sind das gut 100 Millionen Franken. Das Geld stammt aus der Bereitstellungsprämie und aus der Risikoprämie für die vom Bund garantierte Liquidität. Hinzu kommen natürlich noch die Einnahmen der Nationalbank.

Kommen wir zur Volksabstimmung am 18. Juni über die OECD-Reform: Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet Sie als erste Amtshandlung in der Steuerfrage die Unternehmenssteuern erhöhen.

Ich sehe das pragmatisch. Es ist wie ein Naturereignis: Die Mindeststeuer kommt weltweit, ob die Schweiz das gut findet oder nicht. Es geht jetzt um die Frage, ob wir die Zusatzsteuer selbst erheben wollen oder ob andere Staaten die Differenz abschöpfen. Für mich ist klar: Diese Erträge müssen in der Schweiz bleiben.

Die grosse Streitfrage ist der Verteilschlüssel. Die Kantone sollen drei Viertel der Mehreinnahmen erhalten, der Bund ein Viertel. Teile der Linken wollen, dass die Einnahmen hälftig verteilt werden. Mit den Mehreinnahmen könnten Sie als Finanzministerin Ihr Sparprogramm stoppen.

Bei diesem Verteilschlüssel handelt es sich um einen Kompromiss zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden. Man schätzt, dass die Mehreinnahmen im ersten Jahr zwischen eine und 2,5 Milliarden betragen könnten. Wenn der Bund davon ein Viertel mehr erhielte, würde das die Bundesfinanzen nicht retten. Dort sprechen wir von Fehlbeträgen von 3 Milliarden. Ausserdem ist die Steuerhoheit grundsätzlich bei den Kantonen angesiedelt. Es ist darum schlüssig, dass die Kantone den Hauptertrag dieser Ergänzungssteuer bekommen.

Die sowieso schon finanzstarken Kantone, insbesondere Zug und Basel-Stadt, werden noch mehr Geld einnehmen, die anderen Kantone erhalten kaum etwas. Das ist doch ungerecht.

Es ist logisch, dass diejenigen, die jetzt eine tiefere Steuer haben und viele grosse internationale Unternehmensgruppen beherbergen, höhere Einnahmen erzielen. Aber der Finanzausgleich sorgt für einen wirksamen Ausgleich unter den Kantonen. Zudem werden regelmässig Wirksamkeitsberichte zum Finanzausgleich erstellt. Wenn gewisse Kantone finden, sie kämen zu kurz, wird das sicherlich eine Diskussion geben. Der Bundesrat muss die Reform zudem innerhalb von sechs Jahren in ein Gesetz überführen, dann kann das Parlament den Verteilschlüssel auch nochmals diskutieren.

Falls das Volk Nein stimmt, könnte man den Verteilschlüssel schneller ändern. Wie schnell wären Sie mit einer neuen Vorlage parat?

Es ist immer schwierig, herauszufinden, warum eine Vorlage abgelehnt wurde. Es könnte ja auch sein, dass viele Leute Nein gestimmt haben, weil sie ablehnen, dass das Ausland der Schweiz in der Steuerpolitik dreinredet. Sehr schnell mit einer neuen Vorlage zu kommen, kann demokratiepolitisch heikel sein. Zudem müsste man nochmals mit den Kantonen verhandeln, das Parlament müsste die Vorlage besprechen. Ich sage nicht, dass eine schnelle Neuauflage unmöglich wäre, aber es gäbe viele Fragezeichen.

Wie viel Zeit brauchen Sie mindestens? Schaffen Sie es, die Reform auf Anfang 2024 einzuführen?

Das kann ich heute nicht sagen. Das Ganze müsste auf jeden Fall noch einmal vor das Volk, da es sich um eine Verfassungsänderung handelt. Der nächste Abstimmungstermin wäre allerfrühestens im März 2024, die Reform muss aber auf Anfang 2024 parat sein. Aus rechtlicher Sicht könnte das Parlament zwar eine Rückwirkung in der Bundesverfassung verankern. Ob das bei diesem komplizierten Gebilde praktisch umsetzbar wäre, kann ich heute nicht beurteilen.

Die «Wochenzeitung» bezichtigt Sie der Irreführung: Sie hätten behauptet, es sei bei einer Neuauflage nicht möglich, auf den 1. Januar 2024 bereit zu sein. Sie hätten jedoch bereits einen «Plan B» für den Fall eines Neins in der Tasche.

Es wird mir vorgeworfen, auf eine Frage nicht geantwortet zu haben, die mir gar nicht gestellt worden ist. Das ist irreführend. Was den angeblichen «Plan B» betrifft: Den gibt es nicht. Es wäre unredlich, der Bevölkerung weiszumachen, bei einem Nein wäre eine Alternative problemlos möglich.

Es gibt verbreitete Zweifel, dass die Reform international tatsächlich auf 2024 eingeführt wird. Ist unsere Eile überhaupt nötig?

Ich habe diese Frage zweimal mit dem zuständigen EU-Kommissar Paolo Gentiloni besprochen, um sicher zu sein. Es gab gewisse Fragezeichen bezüglich Polen und Ungarn. Die EU-Richtlinie sieht eine Umsetzung per 2024 vor, auch das Vereinigte Königreich, Japan, Australien und Kanada möchten dann so weit sein. Es ist darum wichtig, dass wir auch bereit sind, wenn die OECD-Steuerreform in Kraft tritt.

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Ultima modifica 26.05.2023

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