«Das ist im Interesse der Schweiz»

Tagesanzeiger (Eva Novak und Fabian Renz): 25.02.2023 - Die neue Finanzministerin legt sich mit Schweizer Anwälten an: Im Interview erklärt sie ihre neue Vorlage, um das Geldwäschereigesetz zu verbessern.

Frau Bundesrätin, können Sie sich noch erinnern, wie Sie am 24. Februar 2022 vom Angriff auf die Ukraine erfahren haben?

Ich erinnere mich, als wäre es heute gewesen. Ich war sehr früh auf, ging in die Küche und wollte Kaffee machen. Da sagte mein Mann: «Sie greifen Kiew an!» Ich bekomme heute noch Hühnerhaut.

Hat Sie der Angriff komplett überrascht?

Nicht ganz. Anfang Februar sprach ich am Treffen des Justiz- und Innenministerrats der EU mit meinem tschechischen Kollegen. Er sagte, wir im Westen wüssten nicht, mit wem wir es zu tun hätten. Die Russen würden angreifen, es sei nur eine Frage der Zeit. Andere osteuropäische Kollegen sahen es auch so. Das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich dachte: Wenn die das sagen, wird es passieren. Normalerweise schlafe ich gut. In den Tagen vor Kriegsausbruch wachte ich aber hie und da in der Nacht auf und dachte: Ist es jetzt so weit?

Mit dem Ukraine-Krieg gerät auch der Schweizer Finanzplatz wieder in die Kritik. Als neue Finanzministerin sind Sie nun dessen Schirmherrin. Droht der Schweiz wieder eine schwarze Liste, weil sie keine Gelder russischer Oligarchen einziehen will?

Eine schwarze Liste ist meines Wissens kein Thema. Die Schweiz vollzieht die Sanktionen gegen Russland. Ich sehe aber eine Herausforderung, die sicher auf uns zukommen wird: Die Staatengemeinschaft wird irgendwann den Wiederaufbau der Ukraine finanzieren müssen. Die Zerstörung des Landes ist gigantisch, es wird Hunderte Milliarden brauchen.

Ist es da moralisch nicht umso stossender, wenn sich die Schweiz weigert, russische Gelder zu konfiszieren?

Mein Departement ist hier nicht federführend, aber ich kann sagen: Das ist keine Spezialität der Schweiz, sondern von allen westlichen Rechtsstaaten, dass der Schutz des Eigentums garantiert ist. Gelder von Privatpersonen können nur im Rahmen eines Strafverfahrens beschlagnahmt werden. Diesen Grundsatz des Rechtsstaats hat der Bundesrat in Erinnerung gerufen, ihn dürfen wir nicht aufgeben. Man kann Unrecht nicht mit Unrecht abgelten.

Der Krieg hat die Geldwäschereibekämpfung in den Fokus gerückt. Braucht die Schweiz ein Register der wirtschaftlich Berechtigten an Unternehmen?

Das EFD arbeitet zusammen mit dem EJPD eine Vorlage aus, die im zweiten Halbjahr in die Vernehmlassung gehen soll. Es ist relativ komplex, Transparenz herzustellen und eine einfache Lösung zu finden, die umsetzbar, risikobasiert und verhältnismässig ist. Wir sind aber daran und werden dem Bundesrat einen Vorschlag machen. Es geht um den Schutz der Integrität des Finanzplatzes. Es ist im Interesse der Schweiz, dass sie ein solches Register führt.

Sollen auch die Anwälte und Notare dem Geldwäschereigesetz unterstellt werden? Ihr Vorgänger Ueli Maurer hat das schon mal vorgeschlagen, das Parlament hat es aber nach heftiger Gegenwehr der Betroffenen gestrichen.

Das ist ebenfalls ein Teil dieser Vorlage. Wir sind im Gespräch mit den betroffenen Akteuren. Wir müssen nicht mit dem Kopf durch die Wand. Es bringt nichts, wenn das Parlament es wieder streicht. Aber der Bundesrat ist der Meinung, dass es das braucht. Wir vergessen manchmal, welch enorme Bedeutung der Finanzplatz für unser Land hat. Für das Bruttoinlandprodukt, aber auch für die Versorgung der gesamten Wirtschaft mit Geld und Krediten. Geldwäscherei ist für den Finanzplatz ein Reputationsrisiko. Wir haben ein Interesse daran, die Angriffsfläche so gering wie möglich zu halten.

«Wir haben im Moment kein Einnahmenproblem, wir haben zu viele neue, nicht gegenfinanzierte Ausgaben.»

Der russische Angriff hat nicht nur ungeheures menschliches Leid angerichtet. Er belastet auch weltweit die Konjunktur – und infolgedessen den Bundeshaushalt, für den Sie nun die Verantwortung tragen. Wie lautet da Ihre Diagnose?

Die Lage ist sehr angespannt. Das zeichnete sich schon letztes Jahr ab, jetzt haben wir belastbare Zahlen. Und die Zahlen sind aus dem Lot. Das ist aber keine Folge der Konjunktur. Wir haben im Moment kein Einnahmenproblem, wir haben zu viele neue, nicht gegenfinanzierte Ausgaben. Für den Voranschlag 2024 müssen wir darum zwei Milliarden Franken sparen, um die Schuldenbremse einzuhalten. In den zwei Folgejahren sind es sogar jeweils drei Milliarden. Der Begriff «sparen» ist aber eigentlich falsch. Faktisch sparen wir nicht, wir bremsen das Wachstum der Ausgaben. Damit wachsen die Ausgaben 2024 immer noch mit gut 3 Prozent.

Wie sehen Ihre mittelfristigen Pläne aus? Braucht es ein umfassendes Sparprogramm?

Kurzfristig müssen wir die Ausgaben dort zurückfahren, wo dafür keine Gesetzesänderungen erforderlich sind. Für die nachfolgenden Jahre werden wir aber auch die durch Gesetze gebundenen Ausgaben anschauen müssen. Dazu schlägt der Bundesrat jetzt eine Art Stabilisierungsprogramm vor. Es freut mich, dass dies in so kurzer Zeit gelungen ist, das ist nicht selbstverständlich.

Ihre Partei, die FDP, will die Armee stark ausbauen. Ausgerechnet Sie bremsen nun diesen Plan aus.

Sicherheit ist eine wichtige Aufgabe. Aber man muss dieses Ziel mit der Schuldenbremse in Einklang bringen. Schon mein Vorgänger hatte darauf hingewiesen, dass ein Wachstum auf 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts bis 2030, wie es das Parlament verlangt, nicht finanzierbar ist. Der Bundesrat schlägt jetzt vor, den Wachstumspfad bis 2035 zu erstrecken. Auch so werden sich die Armeeausgaben verdoppeln. Natürlich ist das Parlament frei, von unserem Vorschlag abzuweichen. Es ist aber ebenso verpflichtet, die Schuldenbremse einzuhalten.

Der Stellenetat beim Bund ist über die Jahre stark gewachsen. Müsste man jetzt nicht da mal den Rotstift ansetzen?

Die Departemente sind grundsätzlich frei in der Entscheidung, wie sie die Sparvorgabe von zwei Prozent umsetzen. Der Bundesrat erwartet, dass man auch den Personalbereich anschaut. Man muss aber auch sehen: Viele Stellen sind entstanden, weil das Parlament zusätzliche Aufgaben beschlossen hat.

Als Finanzministerin sind Sie oberste Personalchefin des Bundes. Laut einer neuen Studie verdienen die Bundesbeamten im Schnitt deutlich mehr als die restliche Bevölkerung …

Das Eidgenössische Personalamt lässt zurzeit die Befunde dieser Studie durch einen externen Vergütungsexperten prüfen. Der direkte Vergleich von Angestellten des Bundes und der Privatwirtschaft ist nicht so einfach möglich. Ein Grund dafür ist, dass rund die Hälfte der Bundesangestellten im Sicherheitsbereich tätig ist, denken Sie an die Armee. Aber mir ist sehr bewusst, dass die Löhne der Bundesverwaltung durch Steuergelder bezahlt sind, darum ist es auch richtig, dass man das regelmässig überprüft und diskutiert. Ein gewisser Wettbewerb mit der Privatwirtschaft lässt sich allerdings nicht vermeiden. Im Kaderbereich ist der Bund teilweise nicht konkurrenzfähig.

Zu reden gibt immer wieder, dass die Löhne des Bundespersonals Ende Jahr bei guter Qualifikation automatisch steigen. Verstehen Sie, wenn das die Leute aufregt?

Ja, ich verstehe das. Das Lohnwachstum bei den gut oder sehr gut Qualifizierten macht relativ viel aus. Die Finanzkommission des Nationalrats hat von uns einen Bericht zum Lohnsystem gewünscht. Da werden diese Fragen sicher auch auf den Tisch kommen.

Werden Sie eine ungemütliche Chefin für das Personal?

Ich stehe voll und ganz hinter der Sozialpartnerschaft. Ich habe mich auch bereits mit den Personalverbänden getroffen und werde versuchen, gemeinsam Lösungen zu finden.

Zuletzt gab es einen Teuerungsausgleich von zweieinhalb Prozent. Ist man bei der nächsten Runde wieder so grosszügig?

Wir werden sehen, wie sich die Teuerung entwickelt. Stand heute hat der Voranschlag 2024 keine Luft. Wir haben aber vereinbart, dass wir die Situation weiter beobachten, auch in der Privatwirtschaft. Ich habe die Personalverbände auch um Verständnis gebeten, dass ich in der aktuellen Situation nicht sämtliche Wünsche erfüllen kann. Es werden alle einen Beitrag leisten müssen.

«Ich sehe die Sozialpartner in der Pflicht, die Löhne an die Teuerung anzupassen. Das ist keine staatliche Aufgabe.»

Ein grosses Problem ist die Inflation – für den Bundeshaushalt, aber auch für die Kaufkraft der ganzen Bevölkerung. Worauf müssen wir uns einstellen?

Die Experten gehen davon aus, dass die Inflation dieses Jahr auf etwa 2,2 Prozent gedrückt werden kann. In der Finanzplanung rechnen wir derzeit mit einem Rückgang bis 2026 auf 1 Prozent. Das kann sich aber ändern. Es gibt sehr viele Unsicherheiten: Wie lange dauert der Krieg, wie entwickeln sich die Energiepreise und -versorgung, die Gesundheitskosten oder der Fachkräftemangel?

Was tun Sie, um die Folgen der Inflation abzudämpfen?

Für Preisstabilität zu sorgen, ist Sache der Nationalbank, sie macht das sehr gut. Ich vermute, dass sie die Inflation mit weiteren Zinsschritten bekämpfen wird. Die Teuerung ist in der Schweiz viel tiefer als in anderen Ländern. Vor allem für die unteren Einkommen ist sie natürlich trotzdem eine Belastung. Ich sehe die Sozialpartner in der Pflicht, die Löhne an die Teuerung anzupassen. Das ist keine staatliche Aufgabe. Darüber haben wir jetzt noch gar nicht gesprochen: über den Corona-Effekt, den wir vielleicht später in den Ökonomie-Lehrbüchern finden!

Corona-Effekt? Was verstehen Sie darunter?

Dass man im Zweifelsfall bei der kleinsten Unebenheit nach dem Bund ruft. Der Bund soll zusätzliche Aufgaben finanzieren, unabhängig davon, ob er zuständig und ob es sinnvoll ist. In der Corona-Krise hat der Bund 30 Milliarden Schulden angehäuft. Jetzt sieht man: Das Corona-Muster hat sich festgesetzt. Wenn es nicht schneit, wollen die Skigebiete eine Entschädigung vom Bund. Für jede Aufgabe soll er einspringen.

Lehnen Sie daher auch die Unterstützung der externen Kinderbetreuung ab, über die das Parlament demnächst entscheidet?

Ich persönlich und der Bundesrat unterstützen das Anliegen für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, aber der Bund ist für die Kinderbetreuung nicht zuständig. Das sind die Kantone. Wir sind ein Land, eine Volkswirtschaft, man kann nicht einfach eine Staatsebene finanzpolitisch schwächen, unabhängig von der Zuständigkeit. Wir müssen wieder zurück zu einer gesunden, stabilen Finanzpolitik. Wir brauchen sie, um für Notfälle gerüstet zu sein – so wie bei der Corona-Krise und beim Ukraine-Krieg. Finanzdisziplin ist nicht einfach eine Marotte des jeweiligen Finanzministers, es ist eine Frage der Stabilität und der Handlungsfähigkeit des Staates.

Nach bald zwei Monaten im neuen Amt: Wünschen Sie sich manchmal, Sie wären Justizministerin geblieben?

Ich kannte die Herausforderung. Nachdem Ueli Maurer seinen Rücktritt angekündigt hatte, wurde ich im Bundesratskollegium gefragt, ob ich bereit wäre, ins Finanzdepartement zu wechseln. Es war klar, dass ein bisheriges Mitglied des Bundesrats diese Verantwortung übernehmen muss. Ich finde es sehr spannend hier. Man sieht tief in die anderen Departemente hinein, auch in die bundesnahen Betriebe.

Und schlaflos machen Sie die roten Zahlen in der Kasse, anders als der Krieg, hoffentlich nicht …

Nein, das ist eine völlig andere Kategorie, von den Emotionen und der Dramatik her nicht vergleichbar.

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Last modification 25.02.2023

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