«UBS trägt das Hauptrisiko»

Finanz und Wirtschaft (Arno Schmocker): Die Bundesrätin spricht über das Versagen von Credit Suisse, Verantwortung und Freiheit sowie das Bundesdefizit.

Nur das erste Jahr nach der Wahl zur Bundesrätin war für Karin Keller-Sutter «normal». Doch danach musste sie eine grosse Krise nach der andern bewältigen: Corona, die Ukraineflüchtlingswelle und nun, kaum im Amt als Vorsteherin des Finanzdepartements, die Rettungsaktion für Credit Suisse. Zugleich muss der defizitäre Bundeshaushalt ins Lot gebracht werden.

Frau Bundesrätin, gut drei Wochen nach dem historischen Sonntag: Würden Sie Credit Suisse heute anders retten?

Nein. Oberstes Ziel des Bundesrats war, die Stabilität der Schweizer Volkswirtschaft und des Schweizer Finanzplatzes zu sichern und eine internationale Finanzkrise zu verhindern. Unter den gegebenen Umständen war und ist es die bestmögliche Wahl, die auch den Staat und den Steuerzahler am wenigsten belastet. Die Finanzmärkte haben sich seither stabilisiert. Das Ziel haben wir vorerst erreicht. Ein Konkurs von CS am Montagmorgen – das hätte ein Grounding der Schweizer Wirtschaft bedeuten können.

«Die Finma hatte von CS schon früher verlangt, sich auch auf einen Verkauf vorzubereiten.» Aber gab es nicht schon im Herbst deutliche Anzeichen des Unheils?

Ich bin jetzt seit drei Monaten im Finanzdepartement. An meinem zweiten Arbeitstag habe ich eine Sitzung des Lenkungsgremiums Finanzkrisen mit der Nationalbank und der Finma zum Thema CS einberufen. Wir haben das Dossier sehr eng verfolgt, uns auf verschiedene Szenarien vorbereitet, der Gesamtbundesrat war darüber informiert. Die zentrale Frage war stets: Wann ist der Zeitpunkt da, an dem die Behörden eingreifen müssen? Greift man zu früh ein, zerstört man allenfalls eine Bank, die noch lebensfähig wäre.

Wie lautet Ihre Antwort?

Am Schluss ist die Frage durch die Beschleunigung nach dem Konkurs der Silicon Valley Bank beantwortet worden. Die Finma hatte aber von CS schon früher verlangt, sich auf verschiedene Szenarien vorzubereiten, auch auf einen Verkauf.

In der Zwischenzeit sind viele Forderungen, Wünsche und Ideen aufgetaucht, auch von politischer Seite. Wie gross ist der Raum für Nachverhandlungen?

Es gibt eine Fusionsvereinbarung zwischen UBS und CS. Der Bundesrat hat sich seinerseits gegenüber der Nationalbank verpflichtet, damit sie CS mit Liquidität versorgt, um die Stabilität sicherzustellen. Der Garantievertrag mit UBS wird erst noch verhandelt. In vielen Kommissionssitzungen habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Politik die Übernahme auf keinen Fall gefährden will. Ich sehe im Moment keine Stolpersteine.

Was ist zu tun, damit der Finanzplatz in zehn Jahren nicht wieder in Gefahr gerät?

Erste Priorität hat nun der Abschluss der Fusion. Selbstverständlich braucht es eine Überprüfung der Too-big-to-fail-Gesetzgebung und eine Aufarbeitung der Geschehnisse, um daraus Schlüsse zu ziehen. Man sollte jedoch zuerst sorgfältig und in Ruhe analysieren und dann die Gesetze anpassen. Es gibt aber Grenzen. Wir hatten es hier mit einer Vertrauenskrise zu tun. Und ich habe es auch schon gesagt: Vertrauen lässt sich nicht regulieren.

Ökonomen plädieren für ein einfaches Rezept, 30% hartes Kernkapital statt nur 10%.

Ich möchte das Resultat der Analyse nicht vorwegnehmen. Was ich sagen kann: Credit Suisse hatte als systemrelevante Bank nach Einschätzung der SNB und der Finma die Mindestanforderungen an Kapital und Liquidität eingehalten. Trotzdem wäre sie in Konkurs gegangen. Warum? Über die Jahre herrschte eine Kultur im Management, die wohl teilweise falsche Anreize setzte, es gab Skandale und viele Verfahren, nicht nur der Schweizer Aufsicht, sondern auch im Ausland. Man hat den Eindruck, dass die Bank daraus nicht sehr viel gelernt hat. Sie hat dann im Sommer eine Restrukturierung angekündigt, offensichtlich zu spät.

Der Gedanke, dass UBS künftig über eine faktische Staatsgarantie verfügt, ist ungemütlich.

Eine umfassende Staatsgarantie hätten wir, wenn der Staat CS samt Bilanz- und Rechtsrisiken vorübergehend in seinen Besitz übernommen hätte. Nun haben wir im Kern eine marktnahe Lösung. Mit UBS hat ein Konkurrent die Verantwortung und die Hauptrisiken übernommen. Auch der Bund übernimmt gewisse Risiken. Deshalb von einer Staatsgarantie für UBS zu sprechen, so weit würde ich nicht gehen. Ohne Staat hätte es den Deal nicht gegeben. Allerdings hatte auch UBS Interesse an einer Lösung zugunsten der nationalen und der internationalen Finanzstabilität. Auch sie hätte als gesunde Bank in Mitleidenschaft gezogen werden können.

UBS vereint noch mehr Risiken als zuvor. Soll die Grösse limitiert werden?

UBS wird nach der Übernahme mehr Eigenkapital halten müssen. Das wird sie eher dazu zwingen, zu schrumpfen. Sie wird die Risiken in der Investmentbank von CS herunterfahren. Überlegungen zur Struktur von UBS sind nach der Fusion anzustellen. Auch die Wettbewerbskommission kann Empfehlungen abgeben. Die UBS-Bilanz ist viel grösser, aber die Bank ist vor allem in der Vermögensverwaltung positioniert, das ist nicht mit Investment Banking vergleichbar.

Die Risikokultur könnte durch eine grössere Haftung des Managements verbessert werden. Privatbanquiers und Industrieunternehmer stehen voll im Risiko. Warum nicht Manager systemrelevanter Banken?

Schon heute haften die Organe für Verfehlungen. Für Aktionäre und Gläubiger ist es allerdings schwierig, Schadenersatz zu bekommen. Die Beweisverfahren sind sehr komplex. Das zeigte der Fall Swissair. Wir werden diese Frage anschauen. Ich persönlich finde es unbefriedigend: Man sollte nicht überreagieren, aber es kann nicht sein, dass Manager als Angestellte sehr hohe Vergütungen erhalten, für eine falsche Unternehmenskultur und Fehlentscheide im Unternehmen aber nicht geradestehen müssen.

Die Risikokultur lässt sich womöglich über die Managerboni steuern. Was sagen Sie zur Idee, die variable Vergütung nicht an den Gewinn, sondern an die Aktienquote zu koppeln?

Solche Modelle kann man sicher analysieren. Es kann über Vergütungen Fehlanreize geben. Aber wissen Sie, der Mensch bleibt Mensch. Auch Anstand können Sie nicht per Gesetz verordnen. Wir haben CS jedoch angewiesen zu prüfen, inwieweit ihr Vergütungssystem es vorsieht, Boni zurückzufordern.

Die AKW-Industrie muss einen Stilllegungs- und Entsorgungsfonds speisen. Per Ende 2021 betrug die Reserve immerhin rund 10 Mrd. Fr. – ein Modell für UBS, um das «Restrisiko» vorzufinanzieren?

Das ist eine originelle Postulatsidee (lacht). Mehr kann ich dazu nicht sagen.

Die Finma hat spezifische Schuldverschreibungen, sogenannte AT1 Bonds, auf null abgeschrieben. Gläubiger haben einen Verlust von mehreren Milliarden erlitten. Wie gross ist das Justizrisiko für die Schweiz im Fall von Klagen?

Es handelt sich hier um Hochrisikoanleihen mit hoher Rendite, teilweise über 9%. Sie wurden eigens nach der Finanzkrise für solche Fälle geschaffen. Im Prospekt dieser Anleihen steht klar: Wenn ein Unternehmen eine indirekte Staatshilfe beansprucht, können sie abgeschrieben werden. Das hat die Finma getan.

Zum Ausfallrisiko auf dem Bestand schwierig verwertbarer Aktiven von CS, die UBS übernimmt: Ist es wirklich «gering»?

Gewisse Aktivpositionen von CS passen nicht mehr zum Geschäftsmodell von UBS. Der Bund übernähme den «Second Loss» von maximal 9 Mrd. Fr. Die ersten 5 Mrd. eines allfälligen Verlusts trägt UBS. Aber sie wird in eigenem Interesse alles daransetzen, die Positionen ohne Verlust abzustossen. Ein Risiko für den Bund existiert, aber es ist vertretbar.

Was passiert, wenn die Verluste höher als 14 Mrd. Fr. ausfallen?

Der Bund hat über die 9 Mrd. Verlustgarantie keine Verpflichtung übernommen. Ginge es dereinst darum, weitere Verluste zu übernehmen, müsste man auch über eine Gewinnaufteilung diskutieren. Weitere Verpflichtungen des Bundes müssten durch das Parlament bewilligt werden.

Die Angelegenheit wird auch politisch aufgearbeitet. Ist eine Parlamentarische Untersuchungskommission sinnvoll?

Der Bundesrat hat sich zu einer PUK nicht geäussert. Das ist Sache des Parlaments. Unabhängig davon muss der Bundesrat alle zwei Jahre einen Bericht über die Too-big-to-fail-Gesetzgebung abliefern. Das ist 2023 zufällig der Fall. Wir werden diese Gelegenheit nutzen für eine umfassende Analyse. Auch das Parlament wird uns Aufträge erteilen. Am Schluss sind spezifische Lehren aus dem Untergang von CS zu ziehen, was die Stärkung der Finma, die Rolle der SNB und der TBTF-Gesetzgebung national und international betrifft.

Bringt eine Sondersession etwas?

Es ist zentral, dass die Institutionen den Fall CS aufarbeiten und dass man sich nicht einfach mit Leaks in den Medien, mit Gerüchten und Halbwahrheiten zufriedengibt. Daher ist auch die ausserordentliche Session zu begrüssen. Das Parlament kann im Moment zwar «nur» über den Verpflichtungskredit beraten, aber es hat auch die Möglichkeit, sich zum Fall zu äussern und eine aktive Rolle in der Aufarbeitung wahrzunehmen.

Hat die Schweiz nicht viel an Attraktivität für Investoren eingebüsst?

Im Gegenteil: Die Schweiz war in kürzester Zeit in der Lage, eine stabilisierende Lösung zu finden. Ein Konkurs von CS hätte gemäss Schätzung von Experten Kosten von rund 150% der Wirtschaftsleistung verursachen können, etwa 1100 Mrd. Fr. über Jahre verteilt. Ich hatte Kontakt mit Ministerkolleginnen und -kollegen im Ausland. Sie anerkennen die Leistung der Schweiz in dieser schwierigen Lage.

Aber dass es zu dieser Rettung kam, wird zumindest für den Finanzplatz einen Reputationsschaden nach sich ziehen. Ja gut, aber wer hat das verursacht?

Weder der Bundesrat noch die Finma noch die Nationalbank, sondern CS. Der Reputationsschaden betrifft sie. Die Schweiz wurde durch die Bank in eine unmögliche Lage gebracht.

Gemäss dem liberalen Think Tank Avenir Suisse bedeutet die CS-Rettung «das Ende der liberalen Ordnung im Bankenland Schweiz». Dieser Befund müsste Sie als FDP-Parteimitglied besonders schmerzen.

Zwischen Ideologie und Verantwortung gibt es schon noch eine Differenz. Wenn Sie die Verantwortung tragen im Bundesrat für das Land, die Bevölkerung, die Wirtschaft, dann haben Sie andere Massstäbe. Da können Sie nicht mit einem Parteiprogramm winken, sondern müssen tun, was notwendig ist. Verantwortung wahrzunehmen, das ist liberal.

In letzter Zeit muss der Staat immer wieder Unternehmen mit riesigen Garantien zu Hilfe eilen, etwa für Stromkonzerne und nun CS. Was läuft falsch?

Mich irritiert generell der Ruf der Wirtschaft nach Staatshilfe. Corona war eine Art Dammbruch. Der Bund hat eine Rezession verhindert, aber in zwei Jahren 30 Mrd. Fr. Schulden angehäuft. Das war notwendig. Aber dieses Corona-Grundmuster hat sich eingenistet. Bei der kleinsten Unebenheit rufen alle nach dem Staat, und zwar links und rechts. Es beginnt im Privaten, immer mehr gilt «alle Freiheit für mich, alle Verantwortung beim Staat». Aber gerade ein liberaler Staat wie die Eidgenossenschaft fusst darauf, dass Freiheit und Verantwortung unteilbar sind. Auch die Verantwortung für das Scheitern.

Durch die wachsenden Ansprüche ist der Haushalt des Bundes in ein strukturelles Defizit gerutscht. Sie haben Vorschläge präsentiert, um das Wachstum der Ausgaben zu dämpfen. Lässt sich das rechtfertigen in einem Moment, wo der Staat eine Grossbank mit dreistelligen Milliardenbeträgen vor dem Untergang rettet?

Ich bin froh um diese Frage! Das wird jetzt gern politisch etwas vermischt. Tatsache ist, die Bankenrettung hat keine unmittelbaren finanzpolitischen Konsequenzen. Die Finanzlage ab 2024 ist angespannt, mit oder ohne Credit Suisse. Wir sichern rückzahlbare Liquiditätsdarlehen der SNB an CS, aus der Bundeskasse fliesst kein Franken an die Bank. Und es fliesst, hoffe ich, auch nie ein Franken an UBS. Nur im unwahrscheinlichen Fall, wenn die Garantien tatsächlich zum Tragen kommen sollten, würden Bundesgelder beansprucht. Diese Mittel würden ausserordentlich verbucht, wie bei Corona. Wegen CS muss im Moment niemand sparen.

Auch ohne CS droht die Schuldenbremse, die über den Konjunkturzyklus für einen ausgeglichenen Haushalt sorgen muss, ausgehebelt zu werden.

Für 2024 zeichnet sich ein Bereinigungsbedarf von 2 Mrd. Fr. ab, für die Jahre danach von 3 Mrd. Fr. Das Parlament hat viele Ausgaben beschlossen, die nicht gegenfinanziert sind, sei es für das Militär, Verbilligungen von Krankenkassenprämien, den Klimaschutz, Kinderkrippen.

Der Arbeitgeberverband begrüsst die Subvention von Kinderkrippen. Und Sie?

Der Bundesrat und auch ich persönlich unterstützen das Anliegen. Kinderkrippen sind jedoch klar eine kantonale Aufgabe. Ein Beitrag des Bundes müsste durchinen geringeren Kantonsanteil an den direkten Bundessteuern zumindest teilweise kompensiert werden. Schauen Sie mal die jüngsten Rechnungsabschlüsse der Kantone an – sie machen Überschüsse, während der Bund Schulden anhäufen musste. Die Finanzierung von Kinderkrippen bietet eine gute Gelegenheit, jetzt wieder über die Aufgabenteilung zwischen Bund und Kantonen zu diskutieren. Es gibt eine schleichende Zentralisierung.

Ab 2025 wird die Schuldenbremse nicht mehr eingehalten. Was tun?

Bund und Parlament haben die verfassungsmässige Verpflichtung, die Schuldenbremse einzuhalten. Mit Blick auf 2025 müssen auch die gesetzlich gebundenen Ausgaben reduziert werden, die zwei Drittel des Budgets ausmachen.

Was sagen Sie zu Vorschlägen in jüngster Zeit, die Schuldenbremse aufzuweichen?

Von solchen Vorschlägen halte ich nichts. Das Volk hat dem Instrument 2003 mit fast 85% Ja zugestimmt. Dass Einnahmen und Ausgaben im Gleichgewicht sein müssen, ist im Bewusstsein der Bevölkerung stark verankert. Die Schuldenbremse schuf die Voraussetzung, um die Coronakrise oder die Flüchtlingskrise infolge des Ukrainekrieges finanziell zu bewältigen. Und Schulden kosten wieder etwas. Im Budget 2024 werden die Passivzinsen voraussichtlich deutlich steigen und etwa 1 Mrd. Fr. erreichen. Schuldzinsen sind einer der unnötigsten, unproduktivsten Ausgabenposten.

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Last modification 08.04.2023

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