Keller-Sutter zur CS-Rettung: «Dass viele eine Wut im Bauch haben, verstehe ich gut»

25.03.2023 - NZZ (Stefan Häberli, Fabian Schäfer) Und doch verteidigt die Finanzministerin den Deal mit der UBS gegen alle Bedenken. Karin Keller-Sutter warnt auch das Parlament und die eigene Partei davor, nachträglich die Spielregeln zu ändern und zum Beispiel die Abspaltung des Schweizer Teils der CS zu verlangen.

Um die CS zu retten, hat der Bundesrat Entscheide von enormer Tragweite getroffen. Der Bund und die Nationalbank (SNB) geben Garantien über 209 Milliarden Franken ab, die Übernahme durch die UBS wurde den Aktionären der Banken per Notrecht aufgezwungen. Was ging Ihnen durch den Kopf, als am Sonntagabend feststand, dass dies alles tatsächlich umgesetzt wird?

Alle diese Fragen haben auch mich in den Tagen davor stark beschäftigt. Aber wir hatten alle möglichen Szenarien gründlich geprüft. Ich war überzeugt, dass die Lösung, die wir nun beschlossen haben, die beste aller Varianten ist. Deshalb war ich in erster Linie erleichtert, als am Sonntag gegen 17 Uhr endlich feststand, dass wir eine Lösung haben. Ein Gesamtpaket, bei dem wir wussten: Das stabilisiert die Situation. Nichtstun war keine Option.

Was wäre aus Ihrer Sicht ohne Eingreifen des Bundes passiert?

Die CS hätte den Montag nicht überlebt. Ohne eine Lösung wäre der Zahlungsverkehr mit der CS in der Schweiz erheblich gestört worden, möglicherweise gar zusammengebrochen, Löhne und Rechnungen hätten nicht mehr bezahlt werden können. In der Schweiz wäre es zu gewaltigen volkswirtschaftlichen Verwerfungen gekommen. Fachleute rechneten bei einem ungeordneten Konkurs mit Schäden von 100 bis 200 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung. Weltweit hätten wir mit einer Finanzkrise rechnen müssen. Der Absturz der CS hätte weitere Banken in den Abgrund gerissen. Die Schweiz hätte auch ein grosses Reputationsproblem gehabt. Man hätte festgestellt: Die Behörden eines Landes mit einem derart grossen Finanzplatz sind nicht in der Lage, diesen im entscheidenden Augenblick zu schützen.

Die Rettung der CS wirkte von aussen wie ein dramatisches Rennen gegen die Zeit. War es das?

Die Verhandlungen liefen bis am Sonntagabend. Die Banken feilschten um Konditionen wie den Kaufpreis. Wir verhandelten gleichzeitig mit der UBS über die Höhe der Ausfallgarantie. Das fertige Gesamtpaket musste am Sonntagabend vor der Eröffnung der Börsen in Asien stehen. Es gab nie eine Garantie, dass es zu einer Einigung kommt. Aber alle Beteiligten hatten ein grosses Interesse an einer Lösung. Es waren sich alle einig: Wenn es keine Einigung gibt, kämen die Alternativen zum Tragen, die eigentlich für alle inakzeptabel gewesen waren – sei es eine staatliche Übernahme, eine Sanierung oder ein Konkurs. Aus meiner früheren Tätigkeit als Verwaltungsrätin eines börsenkotierten Unternehmens (Bâloise Versicherungen; Anm. d. Red.) weiss ich, dass man in einer solchen Situation bis ganz am Schluss die Ruhe bewahren muss.

Der Bund und die CS standen anders als die UBS unter grossem Druck. Konnte die UBS die Bedingungen diktieren?

Nein. Sie hatte sicher keine schwache Position. Aber eine Verstaatlichung oder Abwicklung der CS war nicht im Interesse der UBS. Beides hätte die Stabilität der Finanzmärkte bedroht, mit einem Ansteckungsrisiko auch für gesunde Banken wie die UBS. Auch sie wusste: Man kann nicht russisches Roulette spielen mit dem Finanzplatz. Gewiss, die Übernahme der CS ist eine Chance für die UBS. Sie geht damit aber auch Risiken ein.

Was wäre bei einem Scheitern der Verhandlungen der Plan B gewesen?

Alle anderen Optionen waren aus unserer Sicht riskanter für den Staat, den Steuerzahler, den Schweizer Finanzplatz und die internationalen Märkte. Bei einer Verstaatlichung hätte der Bund die gesamten Risiken in der Bilanz der CS übernommen. Auch die Rechtsrisiken wären höher gewesen, es hätten sich komplexe Enteignungsfragen gestellt, und die Liquiditätsgarantie über 100 Milliarden hätte es trotzdem gebraucht, um zu stabilisieren. Die Erfahrungen zeigen zudem, dass es Jahre oder gar Dekaden dauern kann, bis sich der Staat als Eigentümer einer Bank wieder zurückziehen kann. Aber wir haben auch dieses Szenario vorbereitet.

Warum war eine Sanierung oder Abwicklung der CS keine Option? Genau für einen solchen Fall existieren doch die «Too big to fail»-Pläne.

Das «Too big to fail»-Regime hilft, Stress auszuhalten. Das hat sich letztes Jahr auch im Fall der CS bestätigt. Die strengen Anforderungen an die Eigenmittel- und Liquiditätsvorschriften haben sich bewährt. Persönlich bin ich in den letzten Wochen aber zur Erkenntnis gelangt, dass eine global tätige systemrelevante Bank nicht ohne weiteres gemäss dem «Too big to fail»-Plan abgewickelt werden kann. Rechtlich wäre das zwar möglich. In der Praxis wären die volkswirtschaftlichen Schäden aber beträchtlich. Die Schweiz wäre das erste Land gewesen, das eine global systemrelevante Bank abgewickelt hätte. Es war aber klar nicht der Moment für Experimente. Der Bundesrat, die SNB und die Finanzmarktaufsicht (Finma) waren sich einig, dass eine Sanierung oder ein Konkurs der CS mit einer Abtrennung des Schweizer Geschäfts, wie es der «Too big to fail»-Notfallplan vorsieht, wohl eine internationale Finanzkrise ausgelöst hätte. Auch hier hätte man die Liquidität garantieren müssen, und die Rechtsrisiken wären mindestens so hoch gewesen wie bei der jetzigen Lösung, eher höher, weil man viel mehr Kapital hätte abschreiben müssen.

In Medienberichten war zu lesen, dass Länder wie die USA grossen Druck auf Sie ausgeübt hätten, die CS zu retten. Trifft das zu?

Nein, es war kein Druck. Ich spürte in den Gesprächen mit meinen Kolleginnen und Kollegen vielmehr enorme Besorgnis. Und die Erwartung, dass die Schweiz das Problem mit der CS rasch in den Griff bekommt. Es war aber nicht so, dass mir die amerikanische Finanzministerin Janet Yellen am Telefon gesagt hätte: «Du musst dafür sorgen, dass die UBS die CS kauft.» Es drängte uns niemand in eine bestimmte Richtung. Dass eine Sanierung oder Abwicklung der CS gröbste internationale Verwerfungen auf den Finanzmärkten auslösen würde, war aber allen klar – auch uns selbst. Es brauchte darum keinen Druck anderer Länder, wir wussten selber, dass wir handeln müssen.

Bereits im Herbst 2022 zeichnete sich ab, dass die CS wegen des massiven Abflusses von Kundengeldern in eine sehr schwierige Lage geraten könnte. Haben die Behörden rückblickend zu spät reagiert?

Als ich Anfang Jahr mein neues Amt als Finanzministerin angetreten hatte, war meine erste Frage: Wann ist der Punkt erreicht, an dem die Behörden eingreifen müssen, an dem die Finma zum Schluss kommt, dass die CS nicht mehr überlebensfähig ist? Einerseits darf die Aufsichtsbehörde nicht zu früh eingreifen und damit allenfalls eine Bank zerstören. Man kann eine Bank, die den Turnaround noch schaffen könnte, auch kaum zu einem Verkauf zwingen. Andererseits darf man auch nicht zu lange warten. Das ist ein sehr heikler Entscheid. Die von den amerikanischen Regionalbanken im März ausgelösten Marktturbulenzen haben die Frage beantwortet. Am Mittwoch letzte Woche war dann klar: Die CS ist nicht mehr überlebensfähig.

Sie geben also zu, dass die Behörden zu lange gewartet haben?

Nein, das kann man so nicht sagen. Sie müssen sehen: Die CS hat die regulatorischen Kapital- und Liquiditätsanforderungen immer erfüllt.

Haben wir nicht gerade gesehen, dass diese Kennzahlen nicht verlässlich sind, um die Überlebenschancen einer Bank zu beurteilen?

Man hat sich nicht blind auf diese Zahlen verlassen. Mein Departement, die SNB und die Finma haben bereits im Januar – an meinem zweiten Arbeitstag vor Ort als Finanzministerin – über Notfallszenarien gesprochen. Das musste hinter den Kulissen geschehen, um das Vertrauen in die CS nicht zu schädigen. Mir war von Beginn weg klar: Wenn es so weit kommt, werden wir eine Rettung vermutlich an einem Wochenende durchziehen müssen. Die Planung ist das eine. Aber diese unter Zeitdruck dann auch in die Tat umzusetzen, war für alle Beteiligten ein gewaltiger Stresstest. Und die konkreten Umstände kennt man ja erst, wenn es so weit ist.

Wann wurden die anderen Departemente in die Pläne eingeweiht?

Ich habe den Gesamtbundesrat Anfang Februar über die Notfallszenarien orientiert. Das war damals aber noch eine theoretische Übung für einen Fall, der hoffentlich nicht eintreten würde.

Und wann haben Sie Ihre Kollegen darüber informiert, dass der Fall nun leider doch eintritt?

Am Mittwoch letzte Woche fanden die ersten Gespräche zwischen den Behörden und den Banken statt. Am nächsten Tag habe ich im Bundesrat eine umfassende Auslegeordnung gemacht und den Entwurf der Verordnung für die Liquiditätshilfe eingebracht.

Hatten Sie sich da bereits auf die Übernahme der CS durch die UBS als bevorzugte Variante festgelegt?

Uns war zwar klar, dass der Zusammenschluss der beiden Banken wohl die beste Lösung wäre. Aber wir hatten die anderen Szenarien noch nicht abgeschrieben. Die Finma hielt die «Too big to fail»-Notfallplanung bereit. Auch der Grundsatzentscheid für die Verstaatlichung der CS war in Form einer Notverordnung vorbereitet. Allerdings hätte dieses Szenario viele Fragen aufgeworfen, die wir erst im Nachhinein hätten klären können. Zum Beispiel: Wer hätte die verstaatlichte Bank führen sollen?

Es kam dann anders, Ihre bevorzugte Option ist gelungen. Am Sonntag sagten Sie: «Dies ist keine Rettungsaktion. Es ist eine private Lösung.» Das ist arg beschönigend. Hätte der Bund nicht Milliarden als Schmiermittel bereitgestellt, wäre es nie zur Übernahme der CS durch die UBS gekommen. Es ist ein indirekter Bail-out.

Zuerst zur Klärung: Es ist kein Bail-out . . . Zum einen war die CS nicht insolvent. Ihr Problem war, dass sie wegen des Vertrauensverlusts von enormen Geldabflüssen betroffen war. Zum anderen beteiligt sich der Bund nicht an der Bank. Es fliesst auch kein Geld vom Bund an die Bank. Der Bund gibt aber Garantien ab gegenüber der Nationalbank und der UBS. Man kann das mit einer Versicherung vergleichen. Es handelt sich also um eine indirekte staatliche Unterstützung. Das Gesamtpaket, das wir am Sonntag kommunizieren konnten, hat am Montag die Stabilität gebracht, die wir wollten – zu den tiefstmöglichen Kosten für den Staat.

Die Rettung der CS gibt jedoch all jenen recht, die von einer Marktwirtschaft à la carte sprechen: Die Kleinen lässt der Staat untergehen, den Grossen wird geholfen. Haben Sie Verständnis für diese Kritik?

Ja, absolut. Ich komme selbst aus der Welt des Gewerbes, meine Eltern hatten einen eigenen Betrieb – und natürlich haben sie nie auch nur annähernd so viel verdient wie der Chef einer Bank. Es gibt den Bauch. Und es gibt den Kopf. Es ist leider so, dass der Konkurs einer international systemrelevanten Bank völlig andere Konsequenzen hätte als der Konkurs eines KMU. Das hätte auch der Maler oder der Bäcker gespürt. Ich gebe aber zu: Es fällt auch mir schwer, dies zu akzeptieren. Gerade wenn Managementfehler zu dieser Situation beigetragen haben. Dass viele eine Wut im Bauch haben, verstehe ich gut.

Sind Sie sicher, dass bei der CS-Rettung der Nutzen überwiegt? Sie bringt die Marktwirtschaft in Verruf und schadet dem Ansehen der Wirtschaft.

Es ist klar, dass diese Situation das Vertrauen in die Wirtschaft nicht stärkt. Aber die getroffene Lösung war jene, die alle am besten geschützt hat. Und wir sollten auch nicht vergessen: Es hat hier doch auch ein Marktteilnehmer – die UBS – durchaus Verantwortung übernommen.

Die CS hat sich selbst und das ganze Land in eine unmögliche Situation gebracht. Finden Sie, frühere und heutige Kader müssten einen Teil ihrer Boni zurückzahlen?

Für das laufende Jahr haben wir die Auszahlung eines Teils der variablen Vergütungen bei der CS gestützt auf das Bankengesetz vorsorglich gestoppt. Wir prüfen jetzt die Möglichkeiten, die wir hier haben. Persönlich habe ich mich schon immer an diesen überrissenen Vergütungen gestört. Moralisch kann man durchaus erwarten, dass sich gewisse heutige und frühere CS-Kader Gedanken machen, ob ihre Vergütungen angesichts des Resultats, das wir nun haben, gerechtfertigt waren.

Bei der CS-Rettung wurde Notrecht eingesetzt. Rechtsstaatlich wirken Dinge wie das Übergehen der Aktionäre unappetitlich. Wie hat das Bundesamt für Justiz (BJ) dies eingeschätzt?

Die Aktionärsrechte wurden nicht vollständig ausgehebelt. Was wir beschlossen haben, ist: dass die Verwaltungsräte der Banken die Übernahme ohne das Abhalten einer Generalversammlung beschliessen konnten. Das war der Dringlichkeit geschuldet, also dem Ziel der sofortigen Stabilisierung. Das ist eine der Voraussetzungen für die Anwendung von Notrecht. Es braucht zudem zwingend eine Güterabwägung: Sind die Eigentumsrechte der Aktionäre wichtiger? Oder das Interesse des Landes, einen grossen volkswirtschaftlichen Schaden abzuwenden, nicht nur für den Finanzplatz, auch für den Werkplatz? Hätten wir nichts getan, wären die CS-Aktien am Montag wertlos gewesen und die Aktionäre leer ausgegangen. Der Bundesrat ging aber nur soweit wie für das Ziel der Stabilisierung unbedingt nötig und hat sich dabei für ein punktuelles Abweichen vom Fusionsgesetz entschieden. Das BJ war in die Erarbeitung dieser Lösung einbezogen. Es erachtete die getroffene Abwägung auf der Basis der verfügbaren Einschätzungen als vertretbar.

Der UBS-Präsident Colm Kelleher hat nun hautnah miterlebt, dass die Schweizer Behörden alles unternehmen, um eine Grossbank zu retten. Damit hat die UBS faktisch eine Staatsgarantie.

Von einer Staatsgarantie würde ich nicht sprechen. Aber das ist natürlich ein Punkt, den wir genau anschauen müssen. Ich habe diese Woche ein externes Gutachten in Auftrag gegeben, das eine Auslegeordnung vornehmen und die konkreten Fragestellungen identifizieren soll, die wir vertiefen müssen. Ich habe aber bereits am Sonntag gesagt: Kulturelle Fehler kann man nicht wegregulieren. Ich befürchte, das Dilemma wird nicht einfach zu lösen sein.

Nun entsteht eine Bank, die noch «bigger to fail» ist. Bereitet Ihnen das nicht Bauchschmerzen?

Auch das wird man noch vertieft anschauen müssen. Sicher ist: Die regulatorischen Vorschriften gelten natürlich auch für die UBS. Aber es geht ja nicht nur um die Grösse einer Bank. Entscheidend ist auch, wie riskant ihr Geschäftsmodell ist. Ich bin froh, dass die UBS einen Rückbau der Investmentbank anstrebt, die sie mit dem Kauf der CS übernimmt. Wir haben zudem einen funktionierenden Bankenplatz. Kundinnen und Kunden der CS werden nicht alle zur UBS gehen.

Ihre Partei und weitere Kreise fordern, die UBS solle den Schweizer Teil der CS möglichst bald als eigenständige Bank abspalten. Halten Sie das für realistisch? Und wäre es für die Schweiz aus Ihrer Sicht besser?

Wir haben mit dem Gesamtpaket vom Sonntag die Situation stabilisieren können. Dazu gehört die Übernahme der CS durch die UBS. Man kann diese Lösung kritisieren, das stört mich nicht. Es braucht auch eine Aufarbeitung, und man muss die Lehren aus dieser Krise ziehen. Hier spielt das Parlament eine wichtige Rolle. Aber die ausgehandelte Übernahme mit neuen Bedingungen zu gefährden und in diesem Stadium zu stören, wäre hochriskant – mit allen erwähnten Folgen für die Schweizer Volkswirtschaft und die internationalen Finanzmärkte. Das ist unschön, auch der Bundesrat musste da durch, aber das ist die Realität.

Sprechen wir noch über die Finanzen des Bundes: Die CS-Rettung umfasst riesige Garantien, aus denen später im schlechten Fall neue Schulden werden. Bereits wegen Corona ist die Verschuldung stark gestiegen, und nun drohen Defizite in der laufenden Rechnung. Wie schlimm ist die Finanzlage?

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Unmittelbar müssen wir Fehlbeträge von 2 bis 3 Milliarden Franken bereinigen, und es zeichnet sich bis Ende des Jahrzehnts keine Besserung ab. Das Problem sind nicht fehlende Einnahmen, sondern wachsende und neue, nicht gegenfinanzierte Ausgaben. Wir müssen jetzt eingreifen, wenn wir uns nicht zunehmend strukturelle Probleme einhandeln wollen.

Wie wollen Sie den Haushalt im Lot halten, wo besteht relevantes Sparpotenzial?

Wir sparen nicht, sondern bremsen lediglich das Ausgabenwachstum. Der Bundesrat hat bereits wichtige Beschlüsse gefasst. Ich bin zuversichtlich, dass wir für das nächste Jahr die Schuldenbremse einhalten können. Für die Folgejahre sind weitergehende Massnahmen nötig, auch bei den stark gebundenen Ausgaben.

Zum Beispiel?

Einzelne Bereiche wie der Bahninfrastrukturfonds oder die Arbeitslosenversicherung haben inzwischen gute Polster, hier setzen wir prioritär an. Aber wir müssen punktuell auch an die Wurzel gehen. Wir haben zum Beispiel überproportional wachsende Ausgaben bei der sozialen Wohlfahrt. Die Ausgaben allein für die AHV machen inzwischen rund 17 Prozent des Bundesbudgets aus. Wir werden auch hier ansetzen müssen. Das hat der Bundesrat im Grundsatz bereits beschlossen, weil wir aufgrund eines Urteils des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ohnehin die heutige Ungleichbehandlung der Witwer gegenüber den Witwen beseitigen müssen. Die Frage ist, wie rasch wir das umsetzen können. Wichtig ist natürlich auch, dass man gar nicht erst neue Ausgaben beschliesst, wenn sie nicht finanziert sind.

Kürzlich haben Sie die Kantone vor den Kopf gestossen: Geht es nach Ihnen, soll im Gegenzug zu den neuen Bundesbeiträgen an die Kinderbetreuung der Anteil der Kantone an der Bundessteuer sinken. Wie kommen Sie dazu?

Ich verstehe, dass die Kantone darüber nicht erfreut waren. Aber hier geht es um einen Bereich, der in ihre originäre Zuständigkeit fällt. Ich bin eine überzeugte Föderalistin. Es würde mich darum freuen, wenn die Kantone stärker für den Erhalt ihrer Kompetenzen kämpfen würden. Sie müssen dann aber auch die finanzielle Verantwortung tragen. Sonst laufen sie Gefahr, dass sie selber zum Totengräber des Föderalismus werden. Darum möchte ich auch das Projekt zur Überprüfung der Aufgabenteilung wiederbeleben. Das wird auch von den kantonalen Finanzdirektoren unterstützt.

Die geplante OECD-Mindeststeuer, die im Juni an die Urne kommt, bringt Mehreinnahmen. Die Aufteilung war und ist heftig umstritten. Wären Sie im Nachhinein froh, der Bund würde einen grösseren Anteil erhalten?

Der Verteilschlüssel, den das Parlament beschlossen hat, beruht auf einem Kompromiss mit den Kantonen und den Gemeinden. Gerade am Freitag hat die Konferenz der Kantonsregierungen die Vorlage einstimmig gutgeheissen. Mit dem nationalen Finanzausgleich ist sichergestellt, dass auch die finanzschwächeren Kantone von der Reform profitieren. Die Umverteilung über den Finanzausgleich ist umso höher, je höher der Kantonsanteil an den Erträgen der Ergänzungssteuer ist, mit der man die Mindestbesteuerung umsetzen will.

Die Mindeststeuer verändert den internationalen Standortwettbewerb massiv. Steuern sind weniger wichtig. Wie ist die Schweiz positioniert?

Es ist so: Der internationale Steuerwettbewerb bei grossen, international tätigen Unternehmensgruppen wird eingeschränkt. Aber die Schweiz ist gut positioniert. Sie hat viele Trümpfe, ich denke an die politische Stabilität, die Rechtssicherheit, die gut qualifizierten Arbeitskräfte und das innovative, anpassungsfähige wirtschaftliche Umfeld. Umso wichtiger ist es, zu diesen Trümpfen Sorge zu halten.

Manche kritisieren, der Bundesrat habe mit der CS-Rettung die Rechtssicherheit mit Füssen getreten . . .

. . . davon kann keine Rede sein. Wir mussten zwar auf Notrecht zurückgreifen, aber genau das sieht die Bundesverfassung für solche Fälle vor. Wir mussten dabei Eingriffe in die Aktionärsrechte gegen gewaltige Schäden für das ganze Land abwägen. Hätten wir nicht gehandelt, dann dürfte man uns tatsächlich mit Fug und Recht vorwerfen, wir hätten dem Standort geschadet.

Sie haben im Finanzdepartement einen extrem steinigen Einstieg. Bereuen Sie den Wechsel?

Es war klar, dass im EFD grosse Herausforderungen warten. Ich bereue es nicht, auch wenn der Wechsel mir einige schwierige Entscheide abverlangt.

 

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