Kaspar Villiger: «Ich beobachte mit Sorge, wie der Föderalismus langsam verschlammt» – Karin Keller-Sutter: «Wenn man ein Ausgabenproblem hat, sollte man bei den Ausgaben ansetzen und nicht bei den Einnahmen»

NZZ (Peter A. Fischer, Christoph G. Schmutz) - Die vor zwanzig Jahren eingeführte Schuldenbremse hat in der Schweiz Wirkung gezeigt. Doch sie ist keineswegs ein Selbstläufer. Was haben ihr «Vater» und die jetzige Finanzministerin dazu zu sagen?

Am 2. Dezember 2001 haben 85 Prozent der Wähler Ja gesagt zur Festschreibung der Schuldenbremse in der schweizerischen Verfassung. Anfang 2003 trat die Regel in Kraft, die festhält, dass der Bund Ausgaben und Erträge über den Konjunkturzyklus hinweg ausgeglichen halten muss und für Entlastungsmassnahmen sorgen muss, sobald dies nicht mehr der Fall ist.

Die Einführung der Schuldenbremse hat sich als Wendepunkt in der schweizerischen Finanzpolitik erwiesen. Zwei Jahrzehnte später veranstaltete das Eidgenössische Finanzdepartement kürzlich eine Jubiläumsfeier dazu. Doch es gibt nicht nur Grund zum Feiern. Der Finanzhaushalt des Bundes ist wieder unter Druck geraten, und prompt häufen sich die Vorschläge, wie die erfolgreiche Regulierungsbremse aufgeweicht oder umgangen werden könnte.

Der «Vater» der Schuldenbremse, Altbundesrat Kaspar Villiger, hat also einiges klarzustellen über die Entstehung und Wirkungsweise der Regel. Und die amtierende Finanzministerin, Bundesrätin Karin Keller-Sutter, sollte den Finanzhaushalt, der aus dem Lot zu geraten droht, Schuldenbremsen-konform halten. Beide haben sich in einem gemeinsamen Gespräch den Fragen der NZZ dazu gestellt.

Herr Villiger, als Sie 1996 Finanzminister wurden, hatten sich die Schulden des Bundes innerhalb von sechs Jahren verzweieinhalbfacht. Was haben Sie sich da gedacht?

Villiger: Ich war bereits sieben Jahre Bundesrat und hatte das nächtelange Feilschen um jede Million in Bundesrat und Parlament miterlebt. Das System führte zu keinen vernünftigen Resultaten. Otto Stich hatte redlich gekämpft. Aber es gelang trotzdem nicht, den Trend hin zur Schuldenwirtschaft zu brechen.

Wie gerieten die Ausgaben dermassen ausser Kontrolle?

Villiger: Das Parlament hatte sich in guten Jahren daran gewöhnt, dass man alles finanzieren kann. Die Einnahmen brachen aber in der rezessiven Phase ein. Trotzdem fehlte dann die Ausgabendisziplin.

Die Schuldenbremse hat gewirkt

Sie gelten als Vater der schweizerischen Schuldenbremse. Wie kamen Sie darauf?

Villiger: Es gab schon sehr unterschiedliche Schuldenbremsen in einigen Kantonen. Die im Grunde gar nicht besonders revolutionäre Idee kam mir in einer schlaflosen Nacht.

Der Finanzminister konnte nicht schlafen?

Villiger: Ich hatte damals einige schlaflose Nächte. Ich dachte, dass es so nicht weitergehen könne. In der Verfassung stand zwar schon damals, dass Bundesschulden abzutragen seien. Aber ich habe nie jemanden getroffen, der diesen Artikel überhaupt kannte. Da sagte ich mir, es müsse in der Verfassung nicht nur stehen, dass die Schulden wegmüssen, sondern konkret auch, was automatisch geschehen muss, wenn sich die Politik nicht daran hält.

Von der Idee waren bestimmt nicht alle begeistert.

Villiger: Überhaupt nicht. Es wurde vor der ersten Verfassungsabstimmung kritisiert, das Volk müsse abstimmen, ohne eine Ahnung zu haben, wo gespart werde. Deshalb haben wir an einem runden Tisch in schwierigen Verhandlungen und langen Nächten ein Entlastungspaket gezimmert, das einen Teil des strukturellen Defizits eliminierte. Im Wissen darum, wo gespart wird, stimmte das Volk dann mit über 70 Prozent diesem ersten Schritt zu. Den zweiten Schritt, die heutige Schuldenbremse, akzeptierte das Volk 2001 dann noch massiver.

Einige Politiker kritisierten, das Parlament entmachte sich mit der Schuldenbremse selbst.

Villiger: Davon halte ich nichts. Das Parlament gibt das sauer verdiente Steuergeld des Volkes aus. Man kann doch diesem Volk nicht verbieten, in einem demokratischen Prozess seinem Parlament zu sagen, dass es mit seinem Geld haushälterisch umgehen müsse. Aber es gab auch noch drei weitere Einwände. Erstens: Man lasse die Infrastrukturen verlottern, weil man zuerst bei den Investitionen spare. Zweitens: Der Sozialstaat werde totgespart. Drittens: Dadurch werde die ohnehin schwierige wirtschaftliche Lage noch viel dramatischer. All das ist nicht eingetroffen. Im Gegenteil! Die Schuldenbremse sorgt eben nicht nur für das Triple-A bei der Bonität der Staatsschulden und spart uns damit Zinskosten. Sie ist ein Triple-W-Beschleuniger: Sie stärkt Wachstum, Wohlstand und Widerstandskraft der Schweiz.

Frau Keller-Sutter, wie sehen Sie heute die Einführung der Schuldenbremse?

Keller-Sutter: Die Schuldenbremse ist ein Segen. Sie hat dazu beigetragen, die Schuldenwirtschaft der neunziger Jahre zu beenden, und sie brachte der Schweiz finanzpolitische Stabilität.

Und wieso hat die Schuldenbremse die Schweiz stabiler gemacht?

Keller-Sutter: Während der Corona-Krise haben wir 30 Milliarden Franken ausgegeben zur Unterstützung des Gewerbes, der KMU, der Kulturbranche. Und wir konnten die Aufnahme der Schutzsuchenden aus der Ukraine finanzieren. Beides war nur möglich, weil man das Geld zuvor gespart hatte. Die Schuldenbremse hat unsere Handlungsfähigkeit erhalten und verbessert.


Die Corona-Massnahmen haben die Schulden in der Schweiz wieder wachsen lassen.

Vor der Pandemie nahmen die Stimmen zu, die kritisierten, die Schuldenbremse sei zu rigide. Dann war man froh um den Spielraum. Kehren die Kritiker nun zurück?

Keller-Sutter: Ich fürchte, ja. In den vergangenen Jahren sind die Steuereinnahmen gestiegen, und wir konnten Schulden abbauen. Es waren nicht nur wie in der Bibel sieben fette Jahre, sondern zwanzig. Aber jetzt stehen wir an einem Wendepunkt.

Wieso?

Keller-Sutter: Der Voranschlag für das Jahr 2024 brauchte Bereinigungsmassnahmen von zwei Milliarden Franken, damit wir die Schuldenbremse noch einhalten können. Und das nicht wegen sinkender Einnahmen. Die Ursachen sind die gleichen wie in den 1990er Jahren, die Kaspar Villiger beschrieben hat. Das Parlament beschliesst zusätzliche Ausgaben, ohne sich über deren Finanzierung Rechenschaft abzulegen.

Führt das zu einer Aufweichung der Schuldenbremse, Herr Villiger?

Villiger: Als Bürger sehe ich, dass die Finanzdisziplin nachgelassen hat. Natürlich gibt es neue Bedürfnisse. Aber dass es bei Corona plötzlich über Nacht so einen Geldsegen gab, hat offenbar bei vielen, nicht nur Politikerinnen und Politikern, den Eindruck erweckt, eigentlich könne man fast alles finanzieren, wenn man nur wolle. Ich beneide meine Nachfolgerin deshalb nicht.

Macht die Schuldenbremse Sie zur mächtigsten Bundesrätin, Frau Keller-Sutter?

Keller-Sutter: Ich bin froh um dieses Instrument, weil es doch zu einer gewissen Haushaltsdisziplin führt. Die Bundesverfassung verlangt von Bundesrat und Parlament deren Einhaltung. Wir haben bisher immer ein Schuldenbremsen-konformes Budget verabschiedet.

Wieso setzen sich die Politiker nicht einfach über die Regeln der Schuldenbremse hinweg, wie dies im Ausland teilweise geschehen ist?

Keller-Sutter: Erstens haben fast 85 Prozent der Bevölkerung der Schuldenbremse zugestimmt. Das gibt ihr eine hohe demokratische Legitimation. Dies einfach infrage zu stellen und sich nicht daran zu halten, schiene mir fast schon frech. Und zweitens ist die Schuldenbremse stark in der Schweizer Mentalität verankert. Jeder und jede weiss, dass man auf Dauer nicht mehr ausgeben kann, als man verdient.

Villiger: Ich habe mir schon die Frage gestellt, ob das Volk heute einer Schuldenbremse noch zustimmen würde. Beruhigt hat mich, dass vor kurzer Zeit die Stadt Aarau in einer umkämpften Abstimmung eine Schuldenbremse angenommen hat.

Die Vorgaben der Schuldenbremse konnten für 2024 nur eingehalten werden, weil Ausgaben als ausserordentlich eingestuft wurden. Widerspiegelt das nicht fehlenden politischen Willen, die Schuldenbremse einzuhalten?

Keller-Sutter: Das war keine Umgehung der Schuldenbremse. Als ausserordentlich verbucht haben wir Corona und die Ausgaben für die Ukraine-Flüchtlinge. Damit etwas als ausserordentlich taxiert werden kann, muss es laut Finanzhaushaltsgesetz aussergewöhnlich und vom Bund nicht steuerbar sein.

Es gibt auch eine als ausserordentlich verbuchte Zahlung an die SBB. Die ist hoffentlich schon steuerbar.

Keller-Sutter: Damit erfüllt der Bundesrat einen Auftrag des Parlaments. Dieses will die Corona-Verluste der SBB in den Jahren 2020 bis 2022 ausgleichen. Aber es lässt sich nicht alles mit Ausserordentlichkeit begründen. Man tut gut daran, wenn man hier restriktiv ist. Denn im nächsten Jahr und in den Finanzplanjahren 2025 bis 2027 wird es noch enger. Wir werden die Sparmassnahmen, die wir im Bundesrat entschieden haben, weiterziehen. Und dennoch bleiben strukturelle Defizite von bis zu 1,2 Milliarden Franken.

Wieso?

Keller-Sutter: Teilweise ist das den historischen Umständen geschuldet. Ich denke an die Erhöhung der Armeeausgaben. Das Parlament reagierte damit auf Russlands Krieg gegen die Ukraine. Die Ausgaben für die soziale Wohlfahrt sind generell schwierig steuerbar. In der AHV erschwert die demografische Alterung die Situation. Dann gibt es aber auch schnell wachsende Ausgaben, die eigentlich kantonale Aufgaben betreffen.

Was meinen Sie damit?

Keller-Sutter: Ich denke beispielsweise an Prämienverbilligung oder die externe Kinderbetreuung. Diese wird vom Bundesrat nicht bestritten, auch von mir nicht. Aber man vergisst, dass das eine Kantonsaufgabe ist. Die Aufgabenteilung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden ist ein zentraler Pfeiler unseres föderalen Systems.

Es gibt die Tendenz, Aufgaben und ihre Finanzierung nach oben zu verlagern.

Keller-Sutter: Gefühlt und wohl auch real ist die Zentralisierung sehr ausgeprägt. Wir erstellen jetzt mit den Kantonen bis Ende Jahr ein Monitoring, wie und wofür die Ausgaben auf den verschiedenen Staatsebenen anfallen. Ich bin froh, dass der Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen zu einer Aufgabenüberprüfung bereit ist.

Braucht es eine neue Aufgabenteilung?

Keller-Sutter: Ich würde ein neues Aufgabenentflechtungsprogramm sehr begrüssen. Es geht auch darum, die fiskalische Äquivalenz einzuhalten. Also wer zahlt, befiehlt. Es ist leider auch bei manchen Kantonen Mode geworden, dass man nicht mehr so auf die eigenen Kompetenzen achtet, wenn ein anderer bezahlt. Es darf nicht sein, dass sich die Aufgaben immer stärker zulasten einer Staatsebene verschieben.

Villiger: Eine Schuldenbremse dient nicht dazu, nützliche politische Projekte zu verhindern, sie soll Wohlstand schaffen. Wir haben deshalb von Beginn weg betont, dass sie in eine Gesamtstrategie eingebettet werden muss, die für gesunde Finanzen sorgt: im übergeordneten Finanzleitbild von 1999. Dazu gehören Regeln für Subventionen, die Aufgabenteilung und die fiskalische Äquivalenz. Ich beobachte mit Sorge, wie der Föderalismus langsam verschlammt. Man hat den Eindruck, die Kantone lobbyieren lieber in Bern, als Verantwortung zu übernehmen.


Der Bundesrat hat in den vergangenen Jahren nicht gerade den Eindruck von Führungsstärke hinterlassen. Trauen Sie ihm die Gesamtschau zu, die für eine neue Aufgabenentflechtung nötig wäre, Frau Keller-Sutter?

Keller-Sutter: Das kann der Bundesrat nicht alleine, das muss man mit den Kantonen tun.

Villiger: Absolute Gleichberechtigung von Kantonen und Bund war schon damals ein zentraler Grundsatz.

Keller-Sutter: Und im Übrigen will man ja gar keinen starken Bundesrat. Dies wird zwar immer gefordert, doch wenn der Bundesrat dann führt, dann will man das auch wieder nicht. Unser System ist derart auf Machtteilung ausgelegt, dass keine Institution durchregieren kann. Wir müssen Kompromisse finden und einen gemeinsamen Weg suchen, auch bei der Aufgabenentflechtung.

Die Schweiz gibt am meisten für die soziale Wohlfahrt aus

Braucht es auch eine Fiskalregel für die Sozialwerke, um den Bundeshaushalt im Lot zu halten?

Villiger: Ich bin klar der Meinung, dass es so etwas für die nachhaltige Sicherung der für unser Land so wichtigen Sozialwerke braucht.

Was halten Sie von einem solchen Automatismus, Frau Bundesrätin?

Keller-Sutter: Für die AHV und die IV braucht es politische Reformen und nicht einfach eine Fiskalregel. Der Bundesrat hat den Auftrag, bis 2026 eine weitere AHV-Reform mit Entlastungen vorzulegen.

Werden Sie sich dabei für ein höheres Rentenalter einsetzen?

Keller-Sutter: Um die Diskussion über ein höheres Rentenalter kommt man nicht herum. Bei der AHV haben Sie drei Hebel: die Mehrwertsteuer, die Lohnbeiträge und das Referenzalter. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Reform nur mit einem ausgewogenen Paket bei Leistungen und Einnahmen gelingt.

Rund zwei Drittel aller Ausgaben des Bundes sind gesetzlich gebunden. Ist das nachhaltig?

Keller-Sutter: Gebundene Ausgaben schränken den Gestaltungsspielraum von Bundesrat und Parlament ein und sollten eigentlich reduziert werden. Aber ich bin mittlerweile so realistisch, dass ich vor allem gegen neue gebundene Ausgaben kämpfe.

Wie meinen Sie das?

Keller-Sutter: Es gibt ja Diskussionen über einen Innovationsfonds und einen für Bildung und Forschung. Für nichtfinanzierte Ausgaben wollen jetzt alle einen Fonds. Damit kann man an der Schuldenbremse vorbei Ausgaben tätigen. Aber damit haben Sie neue gebundene Ausgaben, die Sie nicht antasten können. Damit schränkt sich das Parlament selbst unnötig ein.

Die Angestellten der Bundesverwaltung werden immer mehr und verdienen laut einer neuen Studie des Instituts für Schweizerische Wirtschaftspolitik, selbst wenn man ihre Qualifikationen und ihre Erfahrung berücksichtigt, im Durchschnitt 12 Prozent mehr als in der Privatwirtschaft. Gibt es da nicht grosses Sparpotenzial?

Keller-Sutter: Wir haben als Reaktion auf die Studie Aufträge vom Parlament erhalten, prüfen das Lohnsystem in der Bundesverwaltung und legen Ende Jahr unsere Erkenntnisse vor. Aber man muss sehen, dass die Berufsprofile in einem KMU mit jenen in der Verwaltung schlecht vergleichbar sind. Beim Bund arbeitet die Hälfte der Beschäftigten in Monopolberufen – in der Armee, der Grenzwache und der Bundespolizei.

Bundesangestellte sind besonders gut abgesichert. Da könnten sie doch auch etwas weniger verdienen als in der Privatwirtschaft.

Keller-Sutter: Das ist bei den Monopolberufen immer noch so. Aber es gibt die andere Hälfte, da arbeiten überdurchschnittlich viele Akademiker. Der Bund bezahlt bei tieferen Qualifikationen vergleichsweise besser, bei Stellen, die eine hohe Qualifikation erfordern, ist er aber oft nicht konkurrenzfähig. Wir haben übrigens die gleichen Probleme mit dem Fachkräftemangel wie die Privatwirtschaft.

Man könnte doch die Summe der Personalausgaben eine Zeitlang zumindest einfrieren.

Keller-Sutter: Ich sage dem Parlament immer: weniger Aufgaben, weniger Ausgaben. Dass man immer mehr Aufgaben beschliesst, immer mehr Gesetze erlässt, die sich ja in der Komplexität ständig überbieten, auch im Vollzug, das ist des Teufels. Teils ist das international bedingt, teils aber auch hausgemacht. Und nachher ist man ganz erstaunt, dass sich die Aufgaben nicht von selbst erfüllen, dass es dazu auch Menschen braucht, die das ausführen, und dass die auch noch Lohn erhalten. Jede Aufgabe hat heute ihre Fankurve, und Sie finden für fast alles eine der wechselnden Mehrheiten im Parlament.

Das meiste Geld bringen direkte Bundessteuer und Mehrwertsteuer

Man kann die Schuldenbremse einhalten, indem man die Ausgaben im Griff hält oder indem man die Einnahmen erhöht.

Keller-Sutter: Wenn man ein Ausgabenproblem hat, sollte man bei den Ausgaben ansetzen und nicht bei den Einnahmen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer oder der direkten Bundessteuer würde zudem eine Verfassungsänderung bedingen. Es würde also länger dauern, bis die Einnahmen da wären. Im Übrigen gibt es per 2024 bereits eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für die AHV-Finanzierung.

Ist damit bei der Mehrwertsteuer das Limit erreicht?

Keller-Sutter: Bei der nächsten AHV-Reform wird sicher die Mehrwertsteuer wieder diskutiert werden. Aber wenn man auf zu grossem Fuss lebt, sollte man das nicht vom Volk über eine höhere Mehrwertsteuer finanzieren lassen. Das ist falsch, gerade in Zeiten mit hoher Teuerung. Das könnte ich nicht vertreten.

Villiger: Wir haben bei grossen Entlastungspaketen immer auf den Mix geachtet, es gab nicht nur Sparmassnahmen. Aber wir wussten, dass laut Studien allfällige wirtschaftliche Schäden viel langfristiger und negativer sind, wenn es über Steuererhöhungen läuft als über Sparmassnahmen.

Wie sehen Sie das, Frau Bundesrätin? Wird die Schweiz die nächsten zehn Jahre ohne grössere Steuererhöhungen auskommen?

Keller-Sutter: Ja, davon gehe ich aus.

Ein Viertel der OECD-Mindeststeuer ist für den Bund reserviert. Erhoffen Sie sich davon Entlastung?

Keller-Sutter: Laut Schätzungen fliessen ab 2026 netto bis 400 Millionen Franken zum Bund. Davon ist ein Drittel für den Finanzausgleich reserviert und der Rest schon mehrfach verteilt worden. Wir werden sehen, wie sich die Einnahmen aus dieser Mindestbesteuerung überhaupt entwickeln.

Befürchten Sie, dass das Steuersubstrat sinkt, weil Firmen abwandern?

Keller-Sutter: Jetzt haben international alle die gleichen Bedingungen. Das ist grundsätzlich eine Standortverschlechterung für die Schweiz. Andere Faktoren gewinnen an Bedeutung, etwa die Infrastruktur, die Lebensqualität, die Verfügbarkeit von ausgebildetem Personal.

Villiger: Der gesunde und transparente Steuerwettbewerb, ein schweizerisches Erfolgsgeheimnis, wird erstickt durch solche Harmonisierungen. Stattdessen droht ein intransparenter Subventionskrieg. Ich fürchte, dass auch bei uns der Druck kommt, alles und jedes zu subventionieren. Die Subventionitis könnte zu einer neuen globalen Seuche werden.

Keller-Sutter: Ich teile diese Befürchtung. Die Schweiz muss an ihren Standortfaktoren arbeiten und nicht der Jagd auf Subventionen verfallen.

Die Corona-Schulden sollen nun über zwölf statt über sechs Jahre abgebaut werden.

Erhalten wir damit unsere finanzpolitische Resilienz?

Villiger: Eine gewisse Streckung ist vertretbar. Vor allem hat es sehr geholfen, dass wir so niedrig verschuldet waren in dieser Krise. Und ich fürchte, die Krisenkadenz wird gegenüber früher zunehmen. Deshalb sollte man rasch wieder auf eine Basis kommen, wo man für die nächste Krise wieder Schnauf hat.

Keller-Sutter: Die Eidgenossenschaft ist auf Dauer angelegt. Und von daher ist es vertretbar, dass diese Verschuldung über einen längeren Zeitraum abgebaut wird. Aber es ist wichtig, dass man es auch macht.

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Letzte Änderung 02.02.2024

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