«Die Schuldenbremse verhindert keine Investitionen»
Frankfurter Allgemeine - Johannes Ritter: Die Schweiz hat eine Schuldenquote von nur 26 Prozent der Wirtschaftskraft. Trotzdem pocht Finanzministerin Karin Keller-Sutter auf strikte Haushaltsdisziplin. Und sie erklärt, warum auch die systemrelevante UBS insolvent gehen können muss.
«Die Schuldenbremse verhindert nicht, dass man investiert. Seit das Volk die Schuldenbremse angenommen hat, sind die Ausgaben für Bildung, Forschung, Infrastruktur und soziale Wohlfahrt immer gewachsen.»

Frau Keller-Sutter, an diesem Mittwoch treffen Sie sich mit Bundesfinanzminister Christian Lindner in Berlin. Er verteidigt die Schuldenbremse nach Kräften. Doch die Regierung sieht sich mit Forderungen konfrontiert, die Schuldenbremse zugunsten höherer Militärausgaben zu umgehen. In der Schweiz gibt es derartige Forderungen ebenfalls. Was halten Sie davon?
Die schweizerische Regierung lehnt derartige Pläne ab. Die Armee zu finanzieren ist eine ständige und planbare Staatsaufgabe, und die Intensivierung einer Staatsausgabe ist nicht ausserordentlich. Wenn das Parlament mehr Geld für das Militär einsetzen will, muss es eben an anderer Stelle sparen - oder die Steuern erhöhen.
Als Teil des Sparprogramms haben Sie in der Regierung beschlossen, die zusätzlichen Militärausgaben zu strecken und erst bis zum Jahr 2035 auf 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Das ist weit entfernt vom 2-Prozent-Ziel der NATO. Ihr FDP-Kollege und einstige Finanz- und Verteidigungsminister Kaspar Villiger hat die Schweiz daher als «Trittbrettfahrer der NATO» bezeichnet. Sehr treffend, oder?
Es besteht kein Zweifel darüber, dass die Verteidigungsfähigkeit der Schweiz gestärkt werden muss. Die Schweiz und viele andere Länder haben über Jahre eine Friedensdividende bezogen. Aber ich finde es etwas schwierig, die notwendigen Verteidigungsausgaben nur am Bruttoinlandsprodukt festzumachen, das in der Schweiz pro Kopf ohnehin höher ist als anderswo. Und man kann die Schweizer Milizarmee auch nicht ohne Weiteres mit einer Berufsarmee vergleichen.
Die Schweiz will in den nächsten zwölf Jahren 5 Milliarden Franken Wiederaufbauhilfe in der Ukraine leisten, aber in den kommenden vier Jahren 16,4 Milliarden Franken in die Bahninfrastruktur stecken. Setzen Sie die richtigen Prioritäten?
Man kann das nicht einfach so vergleichen. Die Prioritäten setzt in der Schweiz das Parlament mit seiner Budgethoheit und am Schluss auch das Volk. Uber eine gute Infrastruktur zu verfügen ist im Übrigen ein wichtiger Standortfaktor.
Das Verhältnis der öffentlichen Schulden zum Bruttoinlandsprodukt beträgt in Deutschland 64 Prozent, in der Schweiz aber nur 26 Prozent. Sie hätten also durchaus Spielraum, die Schulden zu erhöhen, um direkt und indirekt mehr für die Ukraine zu tun.
Nach den Regeln unserer Schuldenbremse auf Bundesebene müssen wir Einnahmen und Ausgaben auf Dauer im Lot halten. Unter gewissen Umständen können wir die Schulden zwar kurzfristig erhöhen, aber die müssen dann auch wieder zurückgezahlt werden. Ich glaube, dass diese Regel und die damit verbundene Mentalität in der Schweizer Bevölkerung tief verankert sind. Jeder Haushalt kann auf Dauer nicht mehr ausgeben, als er einnimmt. Und das erwartet man auch vom Staat. Die Schuldenbremse verhindert nicht, dass man investiert. Seit das Volk vor gut 20 Jahren die Schuldenbremse mit rund 85 Prozent Ja-Stimmen angenommen hat, sind die Ausgaben für Bildung, Forschung, Infrastruktur und soziale Wohlfahrt immer gewachsen. Aber warum stehen wir besser da als andere Länder? Warum sind wir besser durch Krisen gekommen? Weil wir Haushalts- und Fiskaldisziplin halten und unter anderem deshalb auch beste Bewertungen der Rating-Agenturen sowie eine starke Währung haben. All das ist ein Standortfaktor. Man sollte aufpassen, dass man die Stärken nicht fahrlässig aufgibt.
Der Bund gewährt jährlich Subventionen von fast 50 Milliarden Franken. Das sind 60 Prozent der gesamten Ausgaben. Davon muss sich doch etwas streichen lassen.
Ja, das muss möglich sein. Die Regierung hat eine Expertengruppe eingesetzt, die sämtliche Staatsaufgaben und Subventionen untersucht und aufzeigen soll, wie man bis zu 4 Milliarden Franken jährlich einsparen könnte. Da kommt alles ohne Tabus auf den Tisch, wobei ich leider sagen muss: Der Bundeshaushalt ist sehr unflexibel. Rund zwei Drittel der Ausgaben sind durch die Verfassung oder Gesetze stark gebunden.
Wäre es da nicht sinnvoll, Staatsbeteiligungen zu versilbern? Der Verkauf des 50-prozentigen Anteils an dem Mobilfunkunternehmen Swisscom würde mehr als 12 Milliarden Franken in die Kasse spülen. Und ein Verkauf der Postfinance, der Tochterbank der Schweizer Post, wäre doch schon ordnungspolitisch geboten.
Würden wir diese Beteiligungen verkaufen, ginge das Geld in den Schuldenabbau. Wir bekämen also keinen Spielraum im ordentlichen Haushalt. Im Gegenteil: Es flössen dann auch keine Dividenden mehr in den Haushalt. Diese sind bei der Swisscom deutlich höher als die Ersparnis, die mit der geringeren Schuldverzinsung erreicht würde. Aber man kann die Eigentümerstrategie überprüfen, das ist eine politische Frage. Allerdings müsste am Ende das Volk Ja sagen zu derlei Privatisierungen. Das dürfte schwierig werden.
Zurück zu Ihrem Treffen mit Lindner. Was haben Sie mit ihm zu besprechen?
Es geht unter anderem um unseren Bericht zur Bankenstabilität, den wir im April veröffentlicht haben. Das Interesse daran ist groß, schließlich gibt es in Europa etliche Großbanken, darunter auch in Deutschland. Nach dem Fall der Credit Suisse stellen sich viele Fragen, die man international angehen muss.
Die Credit Suisse wäre im März 2023 beinahe kollabiert und wurde mit milliardenschwerer staatlicher Rückendeckung vom Rivalen UBS geschluckt. Was waren die Hauptgründe für dieses Debakel?
Der Untergang der Credit Suisse war selbstverschuldet. Skandale, Missmanagement und Verluste prägten über Jahre das Bild. Die Bank hatte das Vertrauen ihrer Kunden und Aktionäre verloren.
Hätten die Finanzmarktaufsicht Finma, die Schweizerische Nationalbank und Sie als Finanzministerin nicht früher eingreifen müssen?
Mit dieser Frage befasst sich gerade eine parlamentarische Untersuchungskommission. Deren Ergebnissen kann ich nicht vorgreifen. Zudem war ich erst zwei Monate im Amt, als die Credit Suisse richtig zu brennen begann.
Die Boni-Unkultur war ein Treiber des Untergangs. Was tun Sie dagegen?
Wir schlagen die Einführung eines «Senior Managers Regime» vor. Damit lässt sich die Verantwortung für bestimmte Entscheidungen klar zuordnen. Das erlaubt es, bei Management-Versagen auch gezielt Boni zurückzufordern.
Die Bilanzsumme der neuen UBS ist fast doppelt so gross wie die Wirtschaftsleistung der Schweiz. Ein Kollaps hätte dramatische Folgen für das Land. Wie gehen Sie damit um?
Wir wollen weiterhin ein international tätiger, starker Finanzplatz sein. Eine Großbank wie die UBS ist da wichtig, auch für unsere Wirtschaft, die ja sehr exportorientiert ist. Zugleich müssen wir aufpassen, dass eine solche Bank nicht zu einem Risiko für den Staat und die Steuerzahler wird.
Dieses Risiko ist doch schon da, weil die UBS eine implizite Staatsgarantie hat.
In guten Tagen haften die Aktionäre für die UBS. Aber im Fall einer Schieflage geht es nicht darum, die Bank zu retten. Dann gilt es, Schaden von der Schweizer Volkswirtschaft und darüber hinaus abzuwenden. Wäre die Credit Suisse pleitegegangen, hätten die Kunden nicht mehr auf ihre Konten zugreifen können, Kreditlinien hätten nicht mehr zur Verfügung gestanden, Löhne wären nicht mehr ausbezahlt worden. Das vergisst man manchmal.
Genau wegen dieses systemischen Risikos wurde doch die «Too-big-to-fail»-Regulierung (TBTF) etabliert. Sie sollte ermöglichen, dass eine Großbank ohne Kollateralschaden für die Wirtschaft und die Steuerzahler abgewickelt werden kann. Wenn das jedoch schon bei der Credit Suisse nicht geklappt hat, warum sollte es bei einem Absturz der noch viel größeren UBS gelingen?
Das ist eine ganz wichtige Frage. Eine global systemrelevante Bank wie die UBS muss in Konkurs gehen können und abwickelbar sein, ohne dass die Steuerzahler und der Staat zur Kasse gebeten werden. Das steckt als Leitmotiv hinter den 22 Maßnahmen, die wir in unserem Bericht zur Bankenstabilität vorgeschlagen haben. Sie reichen von der Prävention bis hin zu Instrumenten, die es braucht, um im Krisenfall eine Abwicklung zu ermöglichen. Als Liberale gehe ich aber nicht davon aus, dass man mit der Gesetzgebung alles in den Griff bekommen kann. Es braucht auch die Demut zu sagen, dass man mit dem Wissen der Gegenwart die Zukunft nicht voll beherrschen kann.
Nur in der Schweiz schärfer zu regulieren reicht nicht aus. Man muss die TBTF-Regeln international anpassen und vereinheitlichen, um eine systemrelevante Bank im Notfall abzuwickeln. Kann das überhaupt gelingen?
Ich bin dazu in Kontakt mit dem «Financial Stability Board», das im Auftrag der G20 Finanzmarktreformen vorantreibt, und spreche mit den Finanzministern anderer Länder, so wie jetzt mit Christian Lindner. Ich möchte dafür sensibilisieren, dass eine Abwicklung wegen internationaler Rechtsrisiken unter Umständen nicht möglich sein könnte. Das war im Fall der Credit Suisse ja ganz klar ein Risiko. Es gibt erhebliche Zweifel, dass eine Rekapitalisierung über die zwangsweise Beteiligung der Gläubiger, also ein «Bail-in», funktionieren würde. Dabei schaue ich vor allem in die USA. Dort sind die großen Banken stark investiert. Deshalb müssten die amerikanischen Aufsichtsbehörden mit einer Abwicklung einverstanden sein.
Ist das der Hintergrund für Ihre Forderung, dass die UBS ihre Auslandsgesellschaften nicht mehr nur zu 60 Prozent, sondern mit bis zu 100 Prozent mit Eigenkapital unterlegen soll?
Die Eigenkapitalunterlegung der ausländischen Tochtergesellschaften muss so groß sein, damit man sie in einer Krise verkaufen oder liquidieren kann, ohne das Schweizer Stammhaus zu schädigen. Das war ja genau das Problem bei der Credit Suisse. Mit einer ausreichenden Kapitalisierung hätte sie sich zum Beispiel frühzeitig von der verlustreichen Investmentbank in den USA trennen können.
Stimmen die Schätzungen, wonach die UBS gemäß Ihrer neuen Vorgabe zusätzlich 15 bis 25 Milliarden Franken Eigenkapital Vorhalten müsste?
Angesichts der heutigen Größe der Bank sind diese Schätzungen plausibel.
Die UBS wehrt sich dagegen und sagt, dass allein die bestehende Regulierung zusätzliches Eigenkapital von 19 Milliarden Franken erfordert. Was sagen Sie dazu?
Nach der Finanzkrise 2008 wehrten sich die Banken auch gegen eine strengere Regulierung. Wir stehen am Anfang eines politischen Prozesses. Ich sehe das so: Wenn die von uns vorgeschlagene Regulierung greift, wächst das Vertrauen der Investoren in den Schweizer Finanzmarkt. Davon profitieren auch die Banken.
Obwohl die UBS bei der Übernahme der Credit Suisse auf Staatshilfe zurückgegriffen hat, zahlte sie dem Vorstandsvorsitzenden Sergio Ermotti für neun Monate Arbeit ein Gehalt von 14 Millionen Franken. Wie finden Sie das?
Ich war immer der Meinung, dass eine gewisse Höhe von Löhnen nicht zu rechtfertigen ist. Es gehört zu den Besonderheiten der Schweiz, dass das Volk direktdemokratisch entscheidet, auch über die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft. Wenn das Volk kein Verständnis hat für solche Löhne, dann schwindet auch die Unterstützung für Abstimmungsvorlagen, die wichtig sind für den Wirtschaftsstandort Schweiz. Abgesehen davon hat mein Vater immer gesagt: «So viel Geld kann man mit Arbeit nicht verdienen.» Da hatte er recht.
Sie waren Kundin der Credit Suisse und landen jetzt automatisch bei der UBS. Bleiben Sie da an Bord?
Ja, warum nicht? Die Bank ist gut aufgestellt.
Bundesrätin Karin Keller-Sutter

Präsidialjahr 2025
Karin Keller-Sutter amtet im Jahr 2025 als Bundespräsidentin.

Biografie
Bundesrätin Karin Keller-Sutter ist seit Januar 2023 Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartments EFD und ist seit 2019 im Bundesrat. Zuvor war sie Ständerätin des Kanton St. Gallen.

Autogrammkarte
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Interviews und Beiträge
Eine Auswahl an Interviews von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter.

Reden
Reden von Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter im Wortlaut.