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Interviews, Videos & Guest ArticlesPublished on 2 November 2024

«Scheitert das Entlastungspaket, werden die Steuern steigen»

CH Media (Doris Kleck) – Karin Keller-Sutter muss die Bundesfinanzen sanieren - und das am liebsten ohne Mehreinnahmen. Der Bundesrat hat bei den Eckwerten aber festgelegt, Altersguthaben stärker zu besteuern. Die Bürgerlichen toben. Nun überrascht die Finanzministerin mit brisanten Aussagen.

Zweimal pro Jahr treffen die Mitglieder des Bundesrats ihre Vorgängerinnen und Vorgänger zum Zmittag. So wie am vergangenen Mittwoch. Kurz danach treffen wir Finanzministerin Karin Keller-Sutter zum Interview im Bernerhof. Sie erzählt, sie sei neben dem ehemaligen Finanzminister Kaspar Villiger gesessen. Der Freisinnige hatte 1998 ein grosses Sparpaket geschnürt. Villiger habe ihr erzählt: «Als Vorsteher des Militärdepartements hatte ich die halbe Schweiz gegen mich. Als Vorsteher des Finanzdepartements hatte ich die ganze Schweiz gegen mich.»

Auch Karin Keller-Sutter erlebt schwierige Tage. Als Finanzministerin ist sie verantwortlich für die Sanierung des Bundeshaushalts. Der Bundesrat hat aufgrund der Arbeit einer Expertengruppe um Serge Gaillard die Eckwerte für ein umfassendes Entlastungsprogramm definiert. Nebst Ausgabenkürzungen umfasst es zwei Massnahmen für Mehreinnahmen. Kritisiert wird von Bürgerlichen insbesondere, dass der Bundesrat steuerliche Vorteile beim Bezug von Kapital aus der zweiten und dritten Säule beseitigen will.

CH Media. Frau Keller-Sutter, weshalb wollen Sie jene Leute bestrafen, die für ihre Altersvorsorge sparen?

Karin Keller-Sutter. Das will niemand. Das Sparen soll sich auch weiterhin lohnen. Was derzeit diskutiert wird, ist lediglich ein Vorschlag zur steuerlichen Behandlung von Kapitalbezügen. Man muss den Kontext sehen: Der Bund wird in den nächsten Jahren Milliardendefizite schreiben, deshalb machen wir ein Entlastungspaket. Ab 2027 sollen die Ausgaben um bis zu 3,5 Milliarden Franken reduziert werden, ab 2030 um bis zu 4,5 Milliarden Franken. Wir setzen primär bei den Ausgaben an. 60 Massnahmen der Expertengruppe Gaillard prüfen wir nun vertieft. Darunter sind aber nur zwei, die Mehreinnahmen bringen sollen.

Nebst der Versteigerung der Importkontingente beim Fleisch will der Bundesrat eben die steuerlichen Vorteile beim Kapitalbezug der zweiten und dritten Säule reduzieren.

Das ist eine Konzession an jene Parteien, die Mehreinnahmen gefordert haben. Die Haltung des Bundesrates und auch meine persönliche ist es, in erster Linie bei den Ausgaben anzusetzen.

Bei den Vorschlägen zu den Mehreinnahmen geht es also nicht um inhaltliche Überzeugungen, sondern darum, das Sparpaket mehrheitsfähig zu machen?

Das ist wichtig. Aber ich muss Sie korrigieren: Es ist kein Sparpaket. Die Ausgaben sollen künftig statt 3 lediglich 2 Prozent wachsen. Nach meiner Definition ist das nicht Sparen. Doch zurück zum Kapitalbezug. Ja, wir haben diesen Vorschlag wegen der politischen Ausgewogenheit übernommen. Ob und wie der Bundesrat ihn weiterverfolgt, entscheidet er im Januar. Es ist etwa auch denkbar, dass auf Änderungen bei der dritten Säule verzichtet wird. Der jetzige Vorschlag ist erst ein Rohstoff. Es werden in der Vernehmlassung ohnehin noch alle interessierten Kreise Stellung nehmen können. Dann sehen wir weiter.

Ihre Partei, die FDP, hat sehr erzürnt reagiert.

Ich bin Bundesrätin, nicht Parteipolitikerin. Und der Bundesrat ist kein Mini-Parlament. Gerade in einer Zeit, in der die Parteienlandschaft derart polarisiert ist, braucht es einen Bundesrat, der als Kollegialbehörde funktioniert und unterschiedliche Meinungen integriert. Erfolgreiche Bundesrätinnen und Bundesräte geben zwar nicht ihre Überzeugungen ab, aber das Parteibuch an der Garderobe zum Bundesratszimmer.

Die FDP droht bereits mit einem Referendum gegen das Sparpaket wegen der Massnahmen bei der zweiten und dritten Säule. Hier zeigt sich ein neuer Stil.

Als Bundesrätin kommentiere ich nicht den Stil meiner Partei. Wir müssen nun einfach alle einmal tief durchatmen und abwarten, was der Bundesrat in die Vernehmlassung schickt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die FDP zusammen mit der Linken die Sanierung des Bundeshaushaltes torpediert. Denn eines ist klar: Scheitert das Entlastungspaket, werden die Steuern steigen.

Fassen wir zusammen: Es könnte sein, dass der Bundesrat die Vorschläge zu den Kapitalbezügen bereits im Januar wieder fallen lässt - oder zumindest einen Teil davon.

Meine Botschaft ist: Wir haben auch Mehreinnahmen aufgenommen im Sinne des Kompromisses und der Ausgewogenheit dieses Pakets. Ob das am Schluss die richtige Massnahme ist, sei dahingestellt. Die Empörung ist auch deshalb entstanden, weil falsche Dinge behauptet worden sind. In einer Zeitung stand, der Bundesrat schaffe die dritte Säule ab. Das ist falsch. Die Expertengruppe hat lediglich vorgeschlagen, dass der Kapitalbezug gegenüber Renten nicht mehr steuerlich bevorteilt werden soll.

Was ist Ihr Plan B, wenn das Entlastungspaket scheitert?

Dann müssten wir die Steuern erhöhen. Das würde den Mittelstand treffen und vor allem wäre es eine Kapitulation. Wir können doch nicht einfach zu unseren Bürgerinnen und Bürgern sagen: Wir brauchen zwar zu viel Geld, aber bitte, gebt uns noch mehr!

Das Defizit wird in diesem Jahr deutlich geringer ausfallen als angekündigt: 900 Millionen und nicht 2,6 Milliarden Franken. Darüber hinaus wird im ordentlichen Haushalt ein Überschuss von 200 Millionen erwartet. Ist das nicht ein weiteres Beispiel dafür, dass der Bund absichtlich zu pessimistisch budgetiert?

Nein. Da zeigen sich in erster Linie Sondereffekte. Im Kern zeigt die Hochrechnung dies: Wir werden erneut mehr Schulden machen. Die Abweichungen bei den Einnahmen entsprechen 0,2 Prozent und die Abweichung bei den Ausgaben 2,4 Prozent. Das kommt einer Punktladung gleich. Zudem haben wir in den letzten vier Jahren die Einnahmen zu optimistisch geschätzt.

Im Moment fliessen etliche Steuereinnahmen besser als budgetiert. In erster Linie fehlen die 700 Millionen der Nationalbank.

Die SNB-Gewinnausschüttung ist der Hauptgrund dafür, dass die Einnahmen in der Hochrechnung unter dem Budget liegen. Die Einnahmen entwickeln sich ansonsten tatsächlich erfreulich. Trotzdem: Wir werden auch 2024 mehr Schulden machen, weil wir ein Finanzierungsdefizit von fast einer Milliarde haben.

Weshalb fällt das Defizit tiefer aus als erwartet, 900 Millionen statt 2,6 Milliarden Franken?

Einerseits wurde der Kapitalzuschuss für die SBB, der für 2024 geplant war, nicht ausgegeben, weil das Parlament noch nicht so weit war. Und zweitens werden voraussichtlich nicht alle Kredite ausgeschöpft.

Was ändert dieses vorläufige Ergebnis an den Finanzaussichten des Bundes?

Nichts, die Aussichten bleiben schlecht. Schwierig wird es ab 2026, weil dann die 13. AHV-Rente zum ersten Mal ausbezahlt wird. Für den Bundeshaushalt bedeutet dies eine Mehrbelastung von 900 Millionen Franken, wenn das Parlament dem Vorschlag des Bundesrats zur Senkung des Bundesbeitrags nicht folgt. Dazu kommen Unsicherheiten wie das Wachstum der Armeeausgaben oder ein allfälliger Beitrag für das Forschungsprogramm Horizon, falls wir die Verhandlungen mit der EU abschliessen.

Die Kantone wollen keine Lastenverschiebungen, die Rechten keine Mehreinnahmen und die Linken beklagen den Kahlschlag in der Klima- und Sozialpolitik. Wie wollen Sie das Entlastungsprogramm im Parlament durchbringen?

Das Parlament hat, wie auch der Bundesrat, die verfassungsmässige Pflicht, die Schuldenbremse einzuhalten. Der Bundesrat macht einen Vorschlag, das Parlament kann auch andere Massnahmen beschliessen. Klar ist einzig: Scheitert das Entlastungspaket, kommt es zu Steuererhöhungen. Und das will der Bundesrat der Bevölkerung nicht zumuten.

Weshalb sind Steuererhöhungen ein Tabu? Das Parlament hat offensichtlich eine Reihe von Ausgaben beschlossen, für die das Geld nicht vorhanden ist. Dann muss der Bund sich halt mehr Geld beschaffen ...

Wir haben bereits eine Reihe von Steuern und Abgaben erhöht. Auf dieses Jahr hin stieg die Mehrwertsteuer etwa um 0,4 Prozent. Zudem haben wir die Mindeststeuer für grosse, internationale Unternehmen eingeführt. Wenn wir nun die Mehrwertsteuer für die 13. AHV-Rente noch um 0,7 Prozent erhöhen, wie es der Bundesrat vorschlägt, dann kommen nochmals über 2 Milliarden Franken dazu. Alles in allem führt das 2027 zu 7 Milliarden Franken zusätzlichen Steuern und Abgaben für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen - das ist sehr viel Geld.

Die Kantone befürchten Lastenverschiebungen vom Bund zu ihnen - damit ist kein Rappen gespart.

Es gibt auch bei Vertretern der Kantone viel Verständnis für das Entlastungspaket. Jeder dritte Franken, den der Bund ausgibt, geht an die Kantone. Es kann also kein Paket geben, das sie nicht tangiert. Es geht um Verschiebungen von 200 Millionen Franken - das ist weniger als beim grossen Entlastungspaket 1998. Zudem anerkennen die Kantone, dass der Bund während der Coronakrise sehr viele Kosten übernommen hat.

Die bürgerliche Mehrheit hat entschieden, dass die Armeeausgaben bereits 2030 ein Prozent des Bruttoinlandproduktes betragen sollen - und nicht erst 2035, wie es die Finanzplanung vorsieht. Was heisst das für die Budgetdebatte im Dezember?

Zunächst ist die Beschlusslage klar: Bundesrat und Parlament haben mit dem Budget 2024 entschieden, dass die Armee bis 2035 20 Milliarden mehr erhalten soll als heute. Auch dieses langsamere Wachstum der Armeeausgaben ist sportlich und noch nicht finanziert! Andere Bereiche müssen sparen wegen der Armee, unter anderem deshalb haben wir die Ausgaben- und Subventionsüberprüfung ja gestartet. Es steht dem Parlament aber frei, zu entscheiden, das Armee-Budget noch schneller aufzustocken. Doch dann muss es sagen, wo gekürzt werden soll oder ob die Steuern erhöht werden. Die Verantwortung liegt beim Parlament.

Das 1-Prozent-Ziel bis 2030 ist also eine bürgerliche Träumerei.

Der Bundesrat könnte kein solches Budget vorlegen. 2025 müsste das Parlament zusätzlich gut 700 Millionen Franken einsparen, 2028 wären es bereits über eine Milliarde Franken. Das würde zulasten der gesetzlich ungebundenen Ausgaben gehen, also Landwirtschaft, Kultur, Entwicklungshilfe und Bildung. Das wäre kaum mehrheitsfähig.

Das Parlament könnte auch die rigide Schuldenbremse lockern.

Die Schuldenbremse ist ein Erfolgspfeiler der Schweiz. Wir konnten in den guten Zeiten Vorsorgen und Schulden abbauen. Während der Coronapandemie konnte der Bund über 30 Milliarden für die Krisenbewältigung einsetzen. Nur ein starker Staat kann auch sozial sein, das ist mein liberales Credo. Und deshalb ist die Schuldenbremse wichtig. Sie will nichts anderes, als dass man nicht mehr Geld ausgibt, als man einnimmt. Das ist auch die Lebensrealität vieler Familien. Ich war letzte Woche in Washington an der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds. Wissen Sie, was das Topthema war?

Sagen Sie es uns.

Die weltweite Verschuldung. Und ich spreche jetzt nicht von den Ländern des Globalen Südens, sondern des Nordens. Die Verschuldung der USA ist grösser als nach dem Zweiten Weltkrieg. Frankreich gibt für den Schuldendienst mehr aus als für die Landesverteidigung; Italien bald mehr als für die Bildung. Und jetzt sind auch noch alle Staaten gezwungen, mehr Geld für die Verteidigung auszugeben. Ich würde eine Volksabstimmung über die Schuldenbremse begrüssen. Ich bin sicher, dass das Volk hinter der Schuldenbremse steht.

Waren die US-Präsidentschaftswahlen in Washington auch ein Thema? Fürchten sich die Finanzminister und Notenbanker vor möglichen Schockwellen, die eine Wahl von Donald Trump auslösen könnte?

Das war kein Thema. Klar ist, dass die Verschuldung der USA weiter zunehmen wird, egal ob Kamala Harris oder Donald Trump gewählt wird.

Bei den Ausgaben mögen sich die Kandidierenden gleichen. Doch Trump will die Zölle auch auf europäische Güter stark anheben.

Das wäre eine schlechte Nachricht für den Welthandel und eine schlechte Nachricht für die Schweiz. Als exportorientiertes Land sind wir auf freien Marktzugang angewiesen. Man darf auch nicht vergessen, dass den Preis für Zölle immer die Konsumentinnen und Konsumenten bezahlen.

Kann man aus dieser Antwort ablesen, dass Sie Harris lieber hätten als Trump? Ihr Bundesratskollege Albert Rösti bevorzugt ja Trump.

Ich glaube nicht, dass es einen Mehrwert gäbe, wenn ich mich hierzu äussern würde. Die Schweiz hat seit 1850 einen Freundschaftsvertrag mit den USA. Diese Freundschaft besteht seit bald 175 Jahren - unabhängig davon, ob ein Republikaner oder ein Demokrat an der Spitze der USA stand.

Im Nachgang des CS-Untergangs haben Sie verschärfte Regeln für Grossbanken angekündigt. Bereits regt sich Widerstand in Bezug auf die Eigenkapitalanforderungen, aber auch die Bussenkompetenz der Finma. Wie gross ist Ihre Kompromissbereitschaft, oder wie viel wert ist es Ihnen, dass die UBS ihren Sitz in der Schweiz hat?

Der Bundesrat will einen wettbewerbsfähigen Bankensektor, aber er hat auch eine Verantwortung für das ganze Land und muss deshalb Vorkehrungen treffen, damit ein unkontrollierter Ausfall einer systemrelevanten Bank verhindert werden kann. Das ist eine Güterabwägung. Wir müssen einen Ausgleich finden zwischen der Wettbewerbsfähigkeit und der Sicherheit des Finanzplatzes. Auch die Banken wollen Stabilität - deshalb schliessen sich die Ziele nicht aus. Was ich klar sagen kann: Es kann nicht sein, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die Zeche bezahlen für das Fehlverhalten von Banken und Managern. Das versteht niemand mehr in diesem Land, der Goodwill ist aufgebraucht.

Streit um 2. und 3. Säule

Der Bundesrat will den Finanzhaushalt ab 2027 um 3 bis 3,5 Milliarden Franken entlasten. Im September hat er die Eckwerte dazu verabschiedet. Der Bundesrat setzt vor allem bei den Ausgaben an, will «punktuell» aber auch die Einnahmen erhöhen. Der Bundesrat hat angekündigt, die Kapitalbezüge aus der 2. und 3. Säule künftig so zu besteuern, dass der Kapitalbezug gegenüber der Rente steuerlich nicht mehr bevorteilt wird. Nicht betroffen sind die Steuervorteile bei der Einzahlung. Diese Massnahme würde dem Bund 220 Millionen und den Kantonen 60 Millionen Franken einbringen und soll auch Fehlanreize beseitigen. Die «SonntagsZeitung» hat Zahlen publik gemacht, wonach sich die Steuer für Gutverdiener verdoppeln oder im Extremfall gar verfünffachen würde. Seither hagelt es Kritik. Die FDP hat am Freitag eine Petition mit 40’000 Unterschriften eingereicht, es sei unfair, Menschen zu bestrafen, die fürs Alter Vorsorgen. Die Partei von Karin Keller-Sutter droht gar mit dem Referendum. Wie es weitergeht, zeigt sich spätestens im Januar: Dann macht der Bundesrat Nägel mit Köpfen und startet die Vernehmlassung.